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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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Sowjetunion. Sie erging sich häufig in einem qualmenden Monolog über die Zustände dort und in den Satellitenstaaten, der zum Weitschweifigsten und Giftigsten gehörte, was sie je vom Stapel ließ. Sie las Mummi und mir Artikel aus dem
Morgenblatt
über die furchtbare Geheimpolizei und die Internierungslager vor, sodass uns regelrecht angst und bange wurde. Ansonsten las Ragnhild nie etwas vor, jedenfalls nicht ihren Kindern.
    Nun, Mitglied der Konservativen Partei und Antikommunistin, das war an sich nicht weiter ungewöhnlich, aber die Sache verkomplizierte sich bei Ragnhild dadurch, dass sie auch gegen den amerikanischen Stützpunkt in Keflavík war, und das war nicht nur der eigenen Partei suspekt. In sozialistischen Kreisen galt sie geradezu als gefährlich, schlimmstenfalls war sie eine schlecht getarnte Ausgesandte der Imperialisten im Westen. Kaum jemand sprach mit ihr auf den Protestmärschen nach Keflavík, höchstens Jugendliche oder Frauen, die naiv genug waren, sich nicht vor ihr in Acht zu nehmen. Wie sollte man auch begreifen, dass eine Stützpunktgegnerin im eigenen Wohnzimmer den amerikanischen Fernsehsender von ebendem Stützpunkt empfing? (Ihrer Meinung nach taten ausländische Kultureinflüsse dem Land not, und bei Jazz und Western auf diesem Kanal saß sie wie angeleimt vor dem Fernseher, der Mummi und mich während der ersten Jahre erzog, mitsamt Magda und den Büchern.)
    In der Konservativen Partei hatte eine Stützpunktgegnerin selbstverständlich nichts zu suchen, auch wenn sie gleichzeitig Antikommunistin war. Trotzdem besaß Ragnhild einige Freunde unter den Konservativen, die aber nicht zur ersten Garde der Partei gehörten, sondern zum Fußvolk. Mit denen konnte sie reden, wenn auch vermutlich nicht immer in allerEintracht. Die Parteispitzen und andere einflussreiche Personen nahmen jedoch Reißaus, sobald sie auf Parteiversammlungen oder andernorts auftauchte. Sie schrieb Artikel, die das konservative
Morgenblatt
sich weigerte zu drucken. Im
Volkswillen
wollte sie ihre Artikel nicht veröffentlicht sehen.
    Im staatlichen Rundfunk durfte sich Ragnhild aber einmal mit der Sendereihe:
Das Militär und der Weltkommunismus
zu Wort melden. Damals riefen dauernd irgendwelche Leute in der Sjafnargata an, Linke und Rechte, hoch und niedrig, um ihre Wut an Ragnhild auszulassen.
    Was stellen sich die Leute denn so an, sagte Ragnhild und blies einen spitzen Rauchtorpedo von sich, der bis weit in den langen Korridor hinausschoss.
    Die verkraften wohl keine Debatte?, fügte sie hinzu und schüttelte sich dreimal, zweimal langsam und einmal schnell, bevor sie den Stummel im Aschenbecher zerdrückte.
    Ragnhilds Widersprüchlichkeit ist ein tückisches Phänomen. Was von außen wie Widersprüchlichkeit wirkt, könnte man eher Konsequenz nennen. Stützpunktgegnerin und Antikommunistin, vereinigt in einer Person, das sind Teile eines größeren Puzzles, in dem jedes Teilchen präzise an seinem Platz sitzt, wenn man dann beispielsweise noch hinzunimmt, dass Ragnhild auch gegen die katholische Kirche ist.
    Das ist keineswegs kompliziert, denn im Grunde genommen geht es nur darum, dass diese Frau gegen Großmächte und große Institutionen ist, die mit Menschen verfahren wie mit Vieh, wie sie sich ausdrückt.
    Ihr läuft die Galle über angesichts der Verhütungspolitik der katholischen Kirche, da diese, abgesehen von allem anderen, wegen des tödlichen Virus nachweisbar lebensgefährlich sein kann. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie Papst Johannes Paul für die bedeutendste Persönlichkeit auf der Welt und den Retter Osteuropas hält.
    Und es ändert auch nichts daran, dass Ragnhild die katholische Landakot-Kirche als einen speziellen Zufluchtsort betrachtet. Mindestens zweimal im Monat begibt sie sich dorthin und meditiert über die Dummheit, da sie das angeblich nur in einer erhebenden Umgebung tun kann. Von solchen Meditationen kehrt Ragnhild erstarkt zurück und lässt sich wortreich über die gute Atmosphäre in dieser Kirche aus. Eins ihrer beliebten Themen sind auch die Seelenmessen; wie schön sich Katholiken von ihren Leuten verabschieden. Sie findet es wesentlich erbaulicher, symbolisch mit Weihrauch und Wasser und altüberliefertem Gebet für die Seele verabschiedet zu werden als nach isländischer Manier mit endlosem Zusammenklauben von irgendwelchen Einzelheiten aus Lebensläufen, und dann einer Handvoll Erde auf einer Schaufel, o-sso, zisch.

    Harald erkrankte und starb in dem

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