Sonnenscheinpferd
qualmende Monolog in der Küche schwoll an und verdichtete sich und zwängte sich in geschlossene Schränke, und Lebensmittel bekamen diesen rauchigen Beigeschmack, gesetzt den Fall, dass dergleichen im Hause war.
Zwischen mir und Dem Ehepaar gab es wenig Kontakt, nachdem ich ausgezogen war. Das änderte sich aber nach Unnurs Geburt, denn Harald als standhafter Großvater nahm es auf sich, die ganze Strecke bis zum Skipasund zu fahren. (Er klagte allerdings darüber, man könne sich in diesem Teil der Stadt nicht zurechtfinden – der Mann, der sogar einmal als Assistenzarzt in Kleppur gearbeitet hatte und der eine Schwester hatte, die auch in dem Viertel lebte. Er kurvte manchmal stundenlang herum, bevor er auf die richtigeStraße und das richtige Haus traf.) Meist kam er ohne Ragnhild, darüber war ich gewissermaßen froh. Ragnhild ist ein wandelnder Störfaktor, selbst wenn sie nur dasitzt und keinen Ton von sich gibt.
Wenn sie aber kam, war ich außerordentlich gespannt darauf, wie sie sich Unnur gegenüber verhielt. Das Muster kam gleich von Anfang an zutage, und es änderte sich nicht, aber ich war immer gleich gespannt – als wollte ich es nicht wahrhaben, als ginge ich davon aus, dass es sich ändern müsste. Ragnhild observierte ihre Enkeltochter neutral wie ein Arzt, aber schließlich war sie ja auch Ärztin. Die Teilnahmslosigkeit war so groß, dass man ihr nicht einmal, wenn es dringend nötig war, eine Diagnose entlocken konnte.
Sowohl Unnur als auch Ása hatten von Anfang an enormes Interesse an Ragnhild. Schon als Babys hielten sie es vor ihrem Gesicht länger aus als vor anderen Gesichtern und zeigten stärkere Reaktionen auf Ragnhilds Mienenspiel. Im Krabbelalter waren sie ihr ständig auf den Fersen und grapschten nach ihren Beinen, sodass sie sich schwer in Acht nehmen musste, um nicht über sie zu fallen. Sie erwiderte ihr Interesse mit wenigen, gut gewählten Worten, als seien sie große Mädchen, und das sozusagen von Geburt an. (Das rief eine schlafende Erinnerung an ihre Antwort in mir wach, als ich sie fragte, ob ich sterben müsste: nur ein bisschen ausruhen. Morgen ist ein neuer Tag.)
Die Kommunikation zwischen Ragnhild und meinen Töchtern erweckte bei mir nicht nur Interesse, sondern auch Ärger darüber, wie sehr sie sich von ihr faszinieren ließen. Darüber, dass diejenige, die am wenigsten gab, das meiste Feedback bekam und die Hauptattraktion war, selbst bei unmündigen Kindern.
Ragnhild tat so, als sähe sie nicht, wenn Harald beim Spielen mit Unnur und Ása den Großvater herauskehrte. Ich bemerkteaber einen Gesichtsausdruck an ihr, den ich nicht kannte, beispielsweise, wenn Harald seinen zwei- und vierjährigen Enkeltöchtern mit blauen und roten und grünen Bällen den Gang der Himmelsgestirne erklärte, wenn Harald ihnen Alle Vögel sind schon da beibrachte oder Hoppe, hoppe, Reiter mit ihnen spielte, wenn Harald ihnen Kusshändchen zuwarf.
Ich hatte schon ziemlich viel über Ragnhilds neuen Gesichtsausdruck nachgedacht, als mir endlich klar wurde, was er bedeutete: Sie war irritiert. Ich erkannte allerdings nicht, weshalb Haralds Opa-Allüren ihr so auf die Nerven gingen, aber das war auch nicht zu erwarten, denn sie ist eine ganz und gar undurchsichtige Person (aber nicht unlauter). Ich überlegte, ob sie sich über ihre eigene Begrenztheit ärgerte, aber das konnte nicht sein, das ist nicht Ragnhilds Art.
Man kann sich eben häufig genug ausmalen, wie Ragnhild nicht ist (und davon kam noch mehr ans Licht, als Harald im Sterben lag), aber viel seltener, wie sie ist. Trotzdem habe ich zumindest einen Schlüssel zu ihrer Person gefunden; sie ist vollkommen sie selbst. Derartige Menschen sollten wohl am besten keine Kinder bekommen, besonders dann nicht, wenn sie für ihr ganzes Leben mit umfassendem Liebesleid gebrandmarkt sind und wenn die Kinder so spät kommen, dass man ein Mandolinenorchester auflösen muss.
Nach außen hin machte Ragnhild den Eindruck von personifizierter Widersprüchlichkeit, vor allem in ihren politischen Ansichten. Das gehört in der Tat zu den vielen Dingen, die ich nie begriffen habe, was Ragnhild in einer politischen Partei zu suchen hatte, diese Person, die praktisch nie mit irgendetwas konformging. Im Übrigen war sie so ungefähr das Peinlichste, was je über die Konservative Partei hereingebrochen ist.
Nur im Hinblick auf eine Sache stimmte sie garantiert mit ihren Parteigenossen und -genossinnen überein – die Sauerei in der
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