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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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wir?

Zufälligerweise war Ragnhild die ersten beiden Tage in meinem Leben Nummer zwei zur Kur in Reykjalundur, deswegen konnte ich in der Sjafnargata ungehindert von Zimmer zu Zimmer wandern. Ich versuchte mich sogar an der aufgequollenen Tür zu meinem Schimmelzimmer, aber sie gab nicht nach.

    Die Sonne stach mir in die Augen
    als ich zurückkehrte

    ich, die glaubte, ich würde nicht zurückkehren, nicht in dieses Haus,

    nicht für immer.

    Die gnadenlose Sonne in ganzem Kreis
    um das ELTERNHAUS. HEIMSPIEL
    in gardinenlosen Zimmern …

    Nachts gab sie kein Pardon, diese kreiselnde Scheibe, mich von Zimmer zu Zimmer verfolgend. Meinen von Nachtschichten zerquälten Augen durfte ich keine Ruhe gönnen

    allein in dem hochgewachsenen Haus, dem steingrauen und zynisch grauen

    auf dreihundertsechzig Quadratmetern mit Dachboden für das Vakuum von Lilla und Mummi

    wo Organe eins nach dem anderen versagten,
    Zimmertag nach Tag.

    In der Küche Tränendrüsen,
    ob Zwiebeln geschnitten wurden oder keine Zwiebeln
    am Harald-Eintopf-Tag.

    Auf dem langen Flur versagte der Kopf,
    ich stolperte vor und zurück
    unsichtbar für des Hauses Ehepaar
    unhörbar für Harald und Ragnhild
    wusste nicht, ob ich kam oder ging oder war.

    Kein Gedanke blieb im Kopf zurück;
    nichts als das nackte Vakuum,
    auf dem Gang kein Weinen,
    auf dem Gang nichts
    außer Gesprächen mit dem Telefon

    mit der Freundin, die es nicht gab.
    Die gute Dór. Der ging es gut im grünen Haus, mit einem Goldfisch und Mama im Akkord.

    In den einschlägigen Zimmern war es der Magen, der versagte.
    Trotzdem litt ich weiß Gott nicht am meisten auf dem Klo, weder im unteren noch im oberen Stock.

    Im Salon waren Lungen in Bedrängnis
    durch qualmende Ragnhildmonologe,
    was für eine Reinkarnation zur Unzeit.

    Im Waschkeller rang ich Hände,
    aufhängend und abnehmend von Leinen.

    Die Wäsche war schwer, oh, oh, auf dem Hocker
    und ich zu unverständig, um mich zu bemitleiden …

    In keinem Zimmer des Hauses hatte das Herz es leicht,
    am allerwenigsten in meinem mit Moder.

    Dort kamen mir oft abends die Tränen, schöne und dumme Tränen, meist vor dem Schlaf, wegen gar nichts, soweit ich wusste. Bis ein Mann daherkam, jung an Jahren, der mich morgens um fünf in die Arme nahm und mir wie ein Liebster wurde. Ich vergaß, dass es Tränen gab, und schlummerte in das stille Land hinein, eine leidlich lächelnde Kindfrau,

hast du sie genannt.

    In der Waschküche erschrak ich, als mein Blick auf die Zwischentür zu meinem Zimmer fiel. In der langen Abwesenheit hatte ich total vergessen, dass es aus meinem Zimmer einen Durchgang zur unbewohnten Welt der Waschküche gab. Die wenigen Male, die ich während meiner Kopenhagener Zeit in die Sjafnargata gekommen war, hatte ich immer gleich die Existenztreppe nach oben genommen. Ich verweilte nie im Souterrain, und schon gar nicht um nachzusehen, wie es um die Feuchtigkeit in meinem Zimmer stand oder ob sich das schnurchelnde Stöhnen immer noch zur vollen Stunde aus den Tiefen der Trachtenehepaaruhr hochquälte.
    Durchgang von meinem Zimmer in die Waschküche. Das klang erschreckend nach Zelle neben Folterzelle. Wäre es nicht ziemlich praktisch, wenn ein Gefangener aus seiner Zelle direkten Durchgang in die Folterzelle hätte?
    Hätte man Gitterstäbe vor den Fenstern in meinem Zimmer angebracht und die Trachtenehepaaruhr sowie den elektrischen Wecker entfernt, würde sich mein Zimmer gut als Gefängniszelle in einem armen Land ausgenommen haben. Mummi hatte immer ein besonderes Auge für Kulissen und begann mein Zimmer die
Katakombe
zu nennen, nachdem er dieses Wort kennengelernt hatte.
    Die Waschküche in der Sjafnargata bot Schutz und Zuflucht, obwohl sie eigentlich nicht zu den Zimmern zählte. Dort war es warm, denn in dem Heißwasserbehälter der Heizung blubberte es immer. Von dort wurde die Wärme in sämtliche Heizkörper des Hauses geschickt, einundzwanzig an der Zahl, daran kann ich mich erinnern, weil ich sie ab und zu zählte und mich auch mit ihnen über alltägliche Dinge unterhielt; vor allem über Anlässe zur Besorgnis in den betreffenden Zimmern, Krempel und Schmutz. Ich sprach die Heizkörper aber nie direkt an, so wie die Heißwasserbehälter unten, die Quelle der Wärme:
    O treue Magd! Liebliche Heizung!
    Um die Heizung herum war nicht diese kalte, negative Feuchtigkeit aus schadhaftem Beton und kaputten Rohren wie bei mir im Zimmer, sondern dort war die Feuchtigkeit natürlich und

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