Sonnenscheinpferd
gemütlich, sie rührte von Wäsche und Trocknen her. Ich gewöhnte mir an, meine Sachen in der Waschküche aufzubewahren, nachdem ich einen Liebsten hatte, damit sie nicht den Geruch meines Zimmers annahmen. (Auf diesen Spaziergängen mit einem wunderhübschen Prinzen durfte Lí nicht muffig riechen.)
In meinem Schimmelzimmer wachte ich manchmal vor Kälte auf, denn das Fenster musste einen Spalt offen stehen, damit man es drinnen aushalten konnte, egal wie das Wetter war. Entweder zitterte man dann oder man schleppte Matratze und Oberbett zur Bank in der Waschküche und lagdort so hoch über dem Fußboden, dass man sich den Kopf aufschlagen würde, wenn man hinunterfiele.
Irgendwann einmal griff Mummi ins Leere, als er zu mir ins Bett krabbeln wollte. Er hatte schon eine ganze Zeit in meinem Zimmer geheult, als ich auf der Bank in der Waschküche aufwachte.
Keine Lilla im Bettchen, schluchzte er.
Ich sagte meinem kleinen Mummimäuschen, von jetzt an wüsste er, wo ich sei, wenn er mich nicht in meinem Bett fände.
Wir gingen ins Mummizimmer und kuschelten uns unter unsere Oberbetten. Sein Bett war schon zu klein für ihn, und für uns beide erst recht. Ich sagte ihm die eine Magdastrophe auf, die ich nie vergaß, und streichelte ihn in den Schlaf.
Sjafnargata, das Haus mit dem langen Gartenpfad – dreiundvierzig Schritte von der Haustür bis zum Gartentor, wenn man klein ist. Die Schritte hatten sich um die Hälfte verringert, als ich sie am ersten Morgen in meinem Leben Nummer zwei in der Sjafnargata noch einmal zählte, während ich in aller Herrgottsfrühe bei unmäßiger Sonne mit dem Küchenhocker aus meinem Zimmer bis zur Gartenmauer ging, mich dort auf den Hocker setzte und dieses Elternhaus gründlich betrachtete, in das ich wieder eingezogen war, was niemand begreift.
Das Haus steht unnatürlich weit von der Straße entfernt, es ragt unnatürlich hoch von der Erde auf, und die Fenster sind hoch und schmal und sehen aus, als wären sie gestreckt worden. In meiner Erinnerung stießen sie die Helligkeit ab. Bei Ragnhild musste immer Licht brennen. Harald schaltete manchmal Lampen aus, beispielsweise im Grünen Salon, aber Ragnhild knipste sie sofort wieder an.
Viele Häuser in Reykjavík haben ein auffällig exotischesGepräge, chinesische Pagodendächer, griechische Giebel, Anklänge an maurische Säulen. Das elegante Aussehen des Hauses in der Sjafnargata ist zwar kaum durch einen besonderen Stil gekennzeichnet, könnte aber unter Umständen an eine italienische Landvilla erinnern. Die Proportionen des Hauses stimmen, alles an diesem symmetrischen Kasten ist regelmäßig, nach dem Goldenen Schnitt. Daraus resultiert eine bemerkenswerte Leichtigkeit: diese schmalen Fenster, das ein wenig nach oben geschwungene Walmdach und das neckische Rautenfenster. Das geschwungene Dach zusammen mit dem hohen Souterrain erwecken den Eindruck, als wollte sich das Haus von der Erde losreißen und möglicherweise abheben. Die Leichtigkeit dieses eleganten Hauses ist jedoch in erster Linie kalt, und die Bäume im Garten wenden sich nicht ihm zu, sondern von ihm ab.
Mit Instandhaltung beschäftigte man sich in der Sjafnargata kaum, und der Verfall schritt von Jahr zu Jahr zielstrebig fort, obwohl das Haus sich nicht unterkriegen ließ. Es erinnerte an einen Menschen, dem gutes Aussehen in die Wiege gelegt worden ist – weder Alter noch Vernachlässigung entstellen ihn –, das gute Aussehen blickt immer durch. Erstaunlich, wie stark und robust das Haus innerlich und äußerlich war und welch zähen Widerstand es diesem anhaltenden Schlendrian entgegensetzte.
Kurz nachdem bei Harald Lungenkrebs festgestellt worden war, raffte sich Ragnhild endlich zu Instandhaltungsmaßnahmen auf. Sie ließ das Haus von außen sanieren und die Fenster erneuern. Dass dies aller Wahrscheinlichkeit nach einem kranken Mann zu schaffen machen würde, tat nichts zur Sache; Hammerschläge und Handwerker vor den Fenstern, und drinnen schleppte er sich bei durchdringendem Gestank von Lösungsmitteln und Fensterlack durch die Wohnung.
Anschließend sollte drinnen weitergemacht und alles renoviert werden. Anstrich auf beiden Etagen und auf dem Dachboden. Mummi und ich wiesen Ragnhild darauf hin, dass der Zeitpunkt Haralds wegen vielleicht nicht besonders geeignet sei. Ragnhild blickte unbeteiligt aus dem Fenster und sagte nur, auf jeden Fall aber könne man im Souterrain streichen, der Geruch würde schon nicht nach oben dringen. Wir
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