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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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das nach den Strapazen der Reise dem Tode näher war als dem Leben.
    Nellí Rósa nahm das Mädchen voller Freude zu sich und zog es auf, als wäre es ihr eigenes Kind. Weil sie aber anfing, viel zu trinken und Gras zu fressen, als der Arbeiter sie verlassen hatte, kamen böse Nornen in die Grettisgata und holten Dór mitsamt ihrem Bett ab. Das Kind wachte nicht auf, aber Nellí Rósa war verzweifelt und fraß noch mehr Gras und wäre am liebsten nie geboren worden.
    Nellí Rósa hatte immer ein Bild des Mädchens auf ihrem Tisch stehen und vermisste sie mehr als die beste Mutter.
    Bald zog Nellí Rósa weg aus der Grettisgata, ohne ihr Sonntagskleid einzupacken, und sie begann, in einem Fjord Hering einzusalzen. Mit wundersamer Geschwindigkeit verdiente sie viel Geld, wovon sie einiges in ein Kistchen legte und vergrub. Da brachten ihr die bösen Nornen Dór mitsamt ihrem Bett zurück, und es gab ein freudiges Wiedersehen in dem grasgrünen Haus am Meeresufer.
    Dór verbrachte schöne Tage bei Nellí Rósa, die sie natürlich Mama nannte, aber häufig lag sie krank danieder in dem warmen Wohnzimmer, in dem aber keine Feuchtigkeit war. Sie besaß sogar einen changierenden Goldfisch in einem Glas. Eine gelähmte und behinderte Nachbarin sorgte dafür, dass es ihr an nichts fehlte, während ihre Mutter im Akkord arbeitete, um mehr für Dór kaufen zu können.
    Nach der Rückkehr zu Nellí Rósa wurde Dór bald sehr wählerisch
in Bezug auf das Essen, und wenn sie kränklich war, ernährte sie sich fast ausschließlich von Pfannkuchen und heißer Schokolade, Malzbier und Cremeschokolade. Ihr wurden sogar Kokoskugeln ans Bett gebracht. Bei diesem Schlaraffenleben wurde sie immer dicker und bekam eine über die Maßen empfindliche Kopfhaut, denn ihre Zöpfe waren viel zu lang. Die Mutter in ihrer Herzensgüte mochte sie aber nicht abschneiden und konnte deshalb manchmal dazu gezwungen sein, Dórs Haar eine halbe Stunde lang zu kämmen und zu flechten, bevor sie sich wieder über die Heringstonnen beugte, und man kann sich vorstellen, dass das sehr anstrengend war. Dieses Opfer brachte sie jedoch gern, weil sie ihr Mädchen so überaus lieb hatte.
    Einmal wurde Dór mit der empfindlichen Kopfhaut so böse, als Nellí Rósa mit ihren Strubbelhaaren kämpfte, dass sie sagte: Wie wär’s, sich bei dem schönen Wetter heute zu erhängen?
    Als Nellí Rósa diese seltsame Frage hörte, begann sie laut zu weinen. Da bereute Dór ihre Worte, denn sie war auf gar keinen Fall durch und durch böse.
    Nellí Rósa erzählte ihr schließlich die Geschichte, wie Dór in einem Weidenkörbchen im Hafen gefunden worden war, mit einer Goldkette um den Hals, an der ein winziges goldenes Krönchen hing.
    Diese Geschichte machte Dór sehr nachdenklich, und von da an besserte sie sich. Sie fing an, in dem grünen Haus zu putzen, und wenn ihre übernächtigte, bleiche Mutter von der Akkordarbeit nach Hause kam, war alles blitzsauber.
    Nun ging Dór auch immer häufiger zum Kai hinunter. Einmal sah sie ein Bild ihres Vaters, des untermeerischen Königs, das sich im Wasser spiegelte. Sie fand, dass er traurig aussah mit seinem langen Haar, das sich weithin im Meer ringelte, und darin schwammen Grundfische und andere Butts, zusammen mit norwegisch-isländischem Hering. Sie hörte, wie flüsternd ihr Name gerufen wurde: DÓ-Ó-R. Sie beschloss, sich von der matten Stimme erweichen zu lassen, aber sie wollte nicht zu ihrem Vater zurückkehren, ohne Nellí Bescheid zu sagen.
    Deswegen ging sie noch einmal ins grüne Haus und schrieb folgenden Zettel:
    Ich gehe dorthin, woher ich kam. Unser Vater liegt im Sterben. Lebe wohl, gute Mutter.
    Der Vater nahm sie mit offenen Armen auf und lächelte endlich, auch wenn er traurig war, denn seine Königin war gestorben, die wirkliche Mutter von Dór. Er führte die Königstochter Dór hinab in sein Reich mit den Schlossanlagen, die an Venedig auf dem Kopf erinnerten, und dort wird sie im Lauf der Zeit die Königin unter dem Meer, und zu ihr taucht ein wunderschöner Prinz hinab.

Die Wettervorsage stimmte, kein Wölkchen am Himmel. Der Zeitplan stimmte. Es war erst halb sechs. Fertig mit Bad, Maske und Moisturizer, vom Scheitel bis zur Sohle eingecremt, fast fertig mit dem Föhnen. Nach dem Wochenende werde ich die Haare blond färben lassen, aber nicht ganz so hell, wie es in unserer Zeit war.
    Ich verweilte vor meinem Anblick im Rauchglasspiegel mit der eingebauten Halogenbeleuchtung. In diesem qualitativ

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