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Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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stehenden Personen zu verarbeiten.
    Michail ging zum großen Panoramafenster und ließ
den Blick über die zerklüftete Landschaft des
Kraterbodens schweifen. Die Sonne stand tief, aber die am
Horizont aufragenden Randberge glühten im Licht, als ob ihre
Spitzen mit brennendem Magnesium beschichtet wären.
    Alles, was er in dieser Landschaft sah, war ein Ausfluss von
Gewalt, sagte er sich: die Wucht der Einschläge kleiner
Mikrometeoriten, die auch in diesem Moment den Boden
›sandstrahlten‹ bis hin zur Entstehung großer
Krater wie Clavius und die unvorstellbar heftige Kollision, durch
die der Mond überhaupt erst von der Erde abgespalten worden
war. Über die kurze Lebenszeit der Menschheit war es in
dieser kleinen Ecke des Kosmos relativ friedlich zugegangen, und
das Sonnensystem hatte sich wie ein Uhrwerk um das stetige Licht
in seinem Herzen gedreht. Doch nun kehrten die uralten Gewalten
zurück. Wie waren die Menschen auch auf die Idee gekommen,
dass es immer so ruhig bleiben würde?
    Er schaute nach oben und suchte die Erde, die auf einem
Viertel der Himmelshöhe stand. Er bedauerte es, dass die
Erde von Shackleton unten am Pol so schwer auszumachen war. Aus
der Perspektive von Clavius tauchte die Erde – zehnmal
größer als der Vollmond von der Erde aus gesehen
– die schattige Mondlandschaft in ein silberblaues Licht.
Die Phasen der Heimatwelt, immer ein Spiegelbild der Mondphasen,
folgten einem gemessenen Monatszyklus. Doch im Gegensatz zum Mond
drehte die Erde sich täglich um ihre Achse und brachte immer
neue Landschaften, Meere und Wolkenformationen ins Blickfeld. Und
im Gegensatz zum langsam wandernden Mond bewegte die Erde sich
natürlich nie aus ihrer Stellung am Mondhimmel.
    Nach dem April 2042 würde die Erde noch immer dort
stehen, wie jetzt auch. Aber er fragte sich, wie sie dann wohl
ausschauen würde.
    Eugene verfolgte derweil die Übertragung der Ansprache
der Präsidentin. »Sie legt sich nicht auf ein Datum
fest.«
    »Was meinen Sie?«
    Eugene warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Heute war
dieses schöne Gesicht durch einen Stress gezeichnet, den
Michail noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. »Wieso sagt
sie nicht einfach 20. April? Das weiß doch
jeder.«
    Offensichtlich nicht, sagte Michail sich. Vielleicht nahm
Alvarez auch auf psychologische Befindlichkeiten Rücksicht.
Vielleicht wollte sie es vermeiden, mit einer definitiven
Festlegung die Sache als aussichtslos erscheinen zu lassen
– die Weltuntergangs-Uhren würden in den Köpfen
der Leute anfangen zu ticken. »Ich glaube auch nicht, dass
es darauf ankommt«, sagte er.
    Für Eugene, Urheber der Vorhersage, kam es offensichtlich
sehr wohl darauf an. Michail setzte sich. »Eugene, es muss
Sie doch sonderbar anmuten, dass die Präsidentin zur ganzen
Menschheit über etwas spricht, das Sie herausgefunden
haben.«
    »Sonderbar. Ja. So etwas in der Art«, sagte Eugene
in einem schnellen und holprigen Redeschwall. Er hielt die
Hände parallel vor ihn. »Sie haben die Sonne. Und Sie
haben mein Modell der Sonne.« Er verschränkte die
Finger. »Sie sind verschiedene Entitäten, aber sie
stehen in Verbindung. Meine Arbeit enthielt Vorhersagen, die sich
bewahrheitet haben. Also ist meine Arbeit eine valide Abbildung
der Realität. Aber eben nur eine Abbildung.«
    »Ich glaube, ich verstehe«, sagte Michail.
»Es gibt Kategorien der Wirklichkeit. Auch wenn wir es bis
auf neun Dezimalstellen vorauszusagen vermögen, sind wir
nicht in der Lage, uns das spezifische Verhalten der Sonne
vorzustellen, mit dem sie effektiv in unsere behagliche
menschliche Welt eingreift.«
    »So in etwa«, sagte Eugene unbehaglich. Seine
großen Hände zupften aneinander – die Hände
eines Mannes, aber die Geste eines Kindes. »Als ob die
Mauern zwischen Modell und Wirklichkeit einfallen.«
    »Sie sind nicht der einzige Mensch, der so fühlt,
Eugene. Sie sind nicht allein.«
    »Natürlich bin ich allein«, sagte Eugene und
verschloss sich wie eine Auster.
    Michail sehnte sich danach, ihn zu halten, wusste aber, dass
er das nicht durfte.
     
    Die Präsidentin sagte: »Wir beabsichtigen, einen
Schild im Weltraum zu bauen. Er soll aus einer hauchdünnen
Folie bestehen und eine Scheibe mit einem größeren
Durchmesser als die Erde darstellen. Der Schild wird so riesig,
dass er von jedem Haus, jeder Schule, jedem Arbeitsplatz auf der
Erde zu sehen sein wird, während er noch Gestalt annimmt.
Denn

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