Sonnensturm
stellten sie noch schnelle Recherchen bezüglich so
genannter ›intrinsischer‹ Schutzmethoden an;
Maßnahmen, die man in der Erdatmosphäre oder
vielleicht vom niedrigen Orbit aus treffen konnte. Indes
hätten alle diese Optionen nur eine unzulängliche
Abschirmung ermöglicht. Es gab jedoch keinen Grund, nicht
trotzdem ein paar dieser Methoden auszuprobieren. Sie würden
die Schutzwirkung immerhin um ein paar Prozent erhöhen
– und der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln, dass
etwas getan wurde. Ein nicht unwesentlicher politischer Faktor.
Aber wenn es ihnen nicht gelang, die tödliche Strahlung der
Sonne fast völlig zu absorbieren, wären solche Projekte
Kinkerlitzchen, die am finalen Ausgang rein gar nichts
ändern würden.
»Machen wir weiter«, sagte Siobhan. »Was
kommt als Nächstes?«
»Wenn wir die Erde nicht schützen
können«, sagte Toby, »werden wir vielleicht
fliehen müssen.«
»Und wohin?«, knurrte Michail. »Der Sturm
wird so stark sein, dass auch der Mars nicht sicher
ist.«
»Dann eben zu den äußeren Planeten. Ein
Eismond von Jupiter…«
»Die Intensität des Sturms würde sich nicht
einmal über fünf Astronomische Einheiten so weit
abschwächen, um uns zu verschonen.«
»Dann der Saturn«, sagte Toby mit Nachdruck.
»Wir könnten auf Titan Deckung suchen. Oder auf einem
Mond von Uranus oder Neptun. Oder wir könnten gleich aus dem
Sonnensystem fliehen.«
»Die Sterne?«, fragte Siobhan leise.
»Können wir ein Sternenschiff bauen, Toby?«
»Wenn es als Generationenschiff konzipiert wird. Das ist
die primitivste Variante: eine Arche, groß genug, um
ein paar hundert Menschen zu beherbergen. Es würde tausend
Jahre dauern, um beispielsweise Alpha Centauri zu erreichen. Wenn
es den Kindern der Auswanderer – die auf dem Schiff leben
und sterben – jedoch gelänge, die Mission fortzusetzen
und wenn ihre Kinder auch erfolgreich wären,
würden schließlich Menschen oder zumindest Nachfahren
von Menschen die Sterne erreichen.«
Michail nickte. »Auch eine Idee von
Ziolkowski.«
»Ich glaube eher, es war Bernal«, sagte Toby.
»Wie viele Menschen könnten wir auf diese Art und
Weise retten?«, fragte Siobhan.
Michail zuckte die Achseln. »Vielleicht ein paar
hundert?«
»Ein paar hundert sind besser als gar niemand«,
sagte Toby düster. »Ein Genpool dieser
Größe genügt jedenfalls für einen
Neuanfang.«
»Die Adam und Eva-Option?«, fragte Michail.
»Das ist nicht gut genug«, sagte Siobhan.
»Wir werden die Milliarden nicht einfach in der Hölle
schmoren lassen. Wir müssen uns etwas anderes einfallen
lassen, Jungs.«
Michail seufzte bekümmert. Toby wandte den Blick ab.
Als das Schweigen sich hinzog, begriff sie, dass sie mit ihrem
Latein am Ende waren. Sie spürte Verzweiflung in sich
aufwallen, an der sie zu ersticken drohte – Verzweiflung
und Schuld, als ob diese apokalyptische Katastrophe und ihre
Unfähigkeit, einen Ausweg zu finden, irgendwie ihre Schuld
seien.
Da ertönte ein dezentes Hüsteln.
Überrascht schaute sie in die leere Luft.
»Aristoteles?«
»Tut mir Leid, dass ich störe, Siobhan. Aber ich
war so frei, eine ergänzende Suche auf der Basis Ihres
Gesprächs laufen zu lassen. Möglicherweise haben Sie
eine Option noch nicht berücksichtigt.«
»Und die wäre?«
Michail beugte sich auf der Softscreen-Abbildung nach vorn.
»Komm zum Punkt. Was schlägst du vor?«
»Einen Schild«, sagte Aristoteles.
Einen Schild…?
Daten wurden in ihre Displays eingeblendet.
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VERKÜNDUNG
Die Präsidentin der Vereinigten Staaten nahm ihren Platz
hinterm Schreibtisch im Oval Office ein.
Im Raum herrschte ausnahmsweise einmal Ruhe. Nur eine einzige
Kamera war auf sie gerichtet, ein einziges Mikrofon hing vor ihr,
und ein einziger Techniker beobachtete sie. Das Büro war
schlicht ausgestattet: mit der amerikanischen Flagge und einem
Weihnachtsbaum, der für diesen Dezember 2037 stand.
Während der Techniker nach altehrwürdiger Sitte die
Zeit an den Fingern abzählte, berührte die
Präsidentin die einfache Halskette, widerstand aber der
Versuchung, das schwarze Haar – inzwischen von silbernen
Strähnen durchzogen – zu ordnen, das ihr
›Make-up-Künstler‹ so hingebungsvoll gestylt
hatte.
Juanita Alvarez war als erste Latino-Frau Präsidentin des
Landes geworden, das die bei weitem mächtigste Nation auf
dem Planeten war. Mit dem Mitgefühl, dem untrüglichen
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