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Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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gesunden Menschenverstand und dem offenkundigen Instinkt für
die Gesundheit einer Demokratie hatten die Menschen, die für
sie gestimmt hatten und viele, die nicht für sie gestimmt
hatten, sie ins Herz geschlossen.
    Heute sprach sie jedoch nicht nur zu den Bürgern
Amerikas. Heute würde ihre Nachricht, von Aristoteles und
Thales simultan in alle gesprochenen, schriftlichen und
Gebärdensprachen der Menschheit übersetzt, über
Fernsehen, Funk und Internet auf drei Planeten übertragen
werden. Später würden ihre Worte und ihre Andeutungen
dann semantisch und stilistisch analysiert und gelobt
beziehungsweise kritisiert werden – bis auch der letzte
Sinngehalt aus ihnen ausgewrungen worden war –, wie keine
ihrer Ansprachen je zuvor seziert worden war. Und natürlich
würden aufgrund dessen, was sie nicht gesagt hatte
und aufgrund der Aussagen selbst sofort jede Menge
Verschwörungstheorien aufkommen.
    Das stand zu erwarten. Es war nämlich kaum vorstellbar,
dass ein Präsident je eine wichtigere Botschaft für ihr
Volk und die Welt gehabt hatte. Und wenn Alvarez auch nur ein
Fehler unterlief, vermochten ihre Worte durch die Verursachung
von Panik, Chaos und wirtschaftlicher Instabilität mehr
Schaden anzurichten als ein kleiner Krieg.
    Wenn sie nervös war, verriet sie das aber nur durch die
leicht zitternden Hände.
    Der Techniker krümmte die Finger. Drei, zwei,
eins.
    »Liebe amerikanische Mitbürger. Liebe
Mitbürger auf der ganzen Welt und darüber hinaus. Ich
danke Ihnen dafür, dass Sie mir heute zuhören. Ich
glaube, viele von Ihnen ahnen schon, was ich Ihnen zu sagen habe.
Das ist wohl ein Indiz für eine gesunde Demokratie, dass
nicht einmal das Oval Office hermetisch versiegelt ist.«
Ein sparsames Lächeln, kalkuliert dosiert. »Ich muss
Ihnen sagen, dass wir alle einer sehr ernsten Gefahr ausgesetzt
sind. Wenn wir jedoch mit Mut und Entschlossenheit
zusammenstehen, versichere ich Ihnen, dass es dennoch Hoffnung
gibt.«
     
    Siobhan saß mit ihrer Tochter Perdita in der kleinen
Wohnung ihrer Mutter in Hammersmith.
    Wegen ihrer zunehmenden Taubheit hatte Maria den Ton der
Softwall so laut aufgedreht, dass es schon an der Schmerzgrenze
war. Der Krach schien die zwanzigjährige Perdita aber nicht
zu stören. Während die Präsidentin sprach,
ließ sie auf einem anderen Kanal eine Show auf dem kleinen
Softscreen-Implantat im Handgelenk laufen. Gut zu wissen, sagte
Siobhan sich sarkastisch, dass die globalen Medien selbst in
Zeiten wie diesen für Angebotsvielfalt sorgten.
    Maria kam mit drei Likörgläsern aus der Küche
geeilt – kleine Gläser, wie Siobhan verdrießlich
feststellte, und noch dazu ohne die Flasche zum Nachschenken.
    »Das ist aber schön«, sagte Maria und teilte
die Gläser aus. Sie lächelte, und die kleinen
operativen Gesichts-Narben kräuselten sich. »Es ist
schon lange her, seit wir drei uns getroffen haben, von den
gelegentlichen Weihnachtsfeiern einmal abgesehen. Es ist eine
Schande, dass erst die Welt untergehen muss, bis wir wieder
zusammenkommen.«
    Perdita lachte über einem gesalzenen Kräcker.
»Du hast doch immer was zu meckern, Oma! Wir haben auch ein
eigenes Leben, weißt du.«
    Siobhan schaute ihre Tochter vorwurfsvoll an. Seit Perdita
zwölf Jahre alt war, sympathisierte Siobhan sogar mit dem
gelegentlichen Klammern ihrer Mutter. »Wir wollen uns nicht
streiten«, sagte Siobhan. »Und es ist nicht das Ende der Welt, Mutter. Du solltest damit nicht hausieren
gehen. Schon gar nicht, wenn die Leute glauben, dass ich diejenige bin, von der das kommt. Sonst löst das
womöglich noch eine Panik aus.«
    Maria schniefte indigniert – sie konnte es einfach nicht
vertragen, wenn sie einen Rüffel bekam.
    »Natürlich ist das meiste, was Alvarez sagen wird,
Käse. Stimmt’s, Mama?«
    »Käse?«
    »Meinst du wirklich, irgendjemand wird ihr das glauben? Die Rettung der Welt ist doch ein Klischee aus
den Katastrophenfilmen der 1990er! Am Tag darauf hörte ich
so einen Typen im Fernsehen sagen, das alles sei nur eine Form
der Leugnung, eine Verdrängung. Und natürlich ist das
auch ein faschistischer Traum!«
    Da war vielleicht sogar etwas dran, sagte Siobhan sich
unbehaglich. Es wäre schließlich nicht das erste Mal,
dass die Sonne als Quelle der Autorität dargestellt
würde.
    Dennoch waren Sonnenkulte eher selten in der Geschichte.
    Es hatte sie wohl in straff organisierten zentralistischen
Staaten gegeben –

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