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Sonnentaucher

Sonnentaucher

Titel: Sonnentaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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geschriebene Wort besaß, aber er glaubte, der Indianer werde für alle Zeit im Nachteil sein, wenn er Englisch lernen müßte, um lesen zu können.«
    Jacob fragte sich, ob wohl jemand den Zusammenhang sah und die Situation, mit der Se-quo-yi und die Cherokee konfrontiert waren, mit der Lage verglich, in der sich die Menschheit heute hinsichtlich der Bibliothek befand.
    Martines Gesichtsausdruck verriet ihm, daß wenigstens eine der anwesenden Personen überrascht war, eine so lange historische Erzählung von dem sonst so stillen Jacob Demwa zu hören. Sie konnte ja nichts von den stundenlangen Geschichts- und Rhetoriklektionen wissen, denen er und die übrigen Alvarez-Kinder sich nach der Schule hatten unterziehen müssen. Obwohl er sich, das schwarze Schaf der Familie, inzwischen von der Politik abgewandt hatte, waren ihm einige der damals erlernten Fähigkeiten noch nicht abhanden gekommen.
    »Nun, Se-quo-yi löste das Problem zu seiner eigenen Zufriedenheit, indem er eine geschriebene Form der Cherokee-Sprache erfand. Es war eine herkulische Aufgabe, und er erfüllte sie um den Preis von Folter und Verbannung, denn viele Angehörige seines eigenen Stammes widersetzten sich seinen Bestrebungen. Aber als er fertig war, stand die ganze Welt der Literatur und der Technologie offen, und zwar nicht nur dem Intellektuellen, der in der Lage war, jahrelang Englisch zu studieren, sondern auch dem durchschnittlich begabten Cherokee. Bald akzeptierten auch die Assimilationisten die geniale Arbeit, die Se-quo-yi geleistet hatte. Sein Triumph bestimmte die Haltung aller folgenden Cherokee-Generationen. Dieses Volk, die einzigen Amerikaner, deren wichtigster Held ein Intellektueller und kein Krieger war, entschloß sich, wählerisch zu sein.
    Und das war sein großer Fehler. Wenn das Volk der Cherokee sich von den einheimischen Missionaren in Siedler-Imitationen hätte verwandeln lassen, dann wäre es ihm wahrscheinlich gelungen, in der Vasallenklasse aufzugehen und von den Europäern als geringfügig minderwertige Klasse von Weißen angesehen zu werden. Statt dessen aber glaubten diese Leute, sie könnten moderne Indianer werden und sich dabei die Grundelemente ihrer Kultur bewahren – ein begrifflicher Widerspruch in sich. Immerhin, es gibt einige Wissenschaftler, die glauben, daß es ihnen hätte gelingen können. Es ging ja alles ganz gut – bis eine Gruppe Weißer auf dem Land der Cherokee Gold entdeckte. Dies rief unter den Siedlern einige Aufregung hervor, und die wiederum brachten es so weit, daß die Legislative von Georgia das Land freigab. Da aber taten die Cherokee etwas Merkwürdiges – etwas, das sich in dieser Form erst hundert Jahre später wieder begeben sollte: Dieser Indianerstamm verklagte die Legislative des Staates Georgia wegen Landraubes. Sie hatten die Unterstützung einiger sympathisierender Weißer, und es gelang ihnen, den Fall vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten zu bringen. Der Gerichtshof erklärte die Landnahme für illegal. Die Cherokee konnten ihr Land behalten.
    Aber an diesem Punkt fielen sie ihrer unvollständigen Anpassung zum Opfer. Da sie keinen nennenswerten Versuch unternommen hatten, sich in die Grundstruktur der Siedlergesellschaft einzufügen, besaßen die Cherokee keine politische Macht, die ihre gerechte Sache hätte stützen können. Sie vertrauten auf die hohen und ehrenwerten Gesetze der neuen Nation und machten sie sich geschickt zunutze, aber sie wußten nicht, daß die öffentliche Meinung nicht einen Deut weniger Macht hat als das Gesetz. In den Augen der meisten ihrer weißen Nachbarn waren sie nichts als einer von vielen Indianerstämmen. Als Andy Jackson den Gerichtshof zum Teufel schickte und der Armee befahl, die Cherokee trotzdem zu verjagen, gab es niemanden, an den sie sich hätten wenden können.
    Also mußte Se-quo-yis Volk seine paar Habseligkeiten zusammenpacken und auf dem tragischen ›Marsch der Tränen‹ in ein neues ›Indianerterritorium‹ ziehen, in ein Land irgendwo im Westen, das keiner von ihnen je gesehen hatte.
    Die Geschichte vom ›Marsch der Tränen‹ ist ein Epos über menschlichen Mut und menschliches Leid. Was die Cherokee auf diesem langen Marsch erdulden mußten, war furchtbar und traurig. Bewegende literarische Werke sind daraus erwachsen, und auch eine Tradition der Kraft in der Not, die den Geist dieses Volkes seither und bis heute prägt.
    Die Vertreibung war nicht das letzte Trauma, das über die Cherokee

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