Sonnenwanderer
lächelten und lehnten alle Erfrischungen ab bis auf den Legendären Zehn-Kräuter-Tee. Sie hatten keine ernsten Verletzungen davongetragen und ihre Wunden inzwischen versorgt. Sie plauderten mit ihren Gastgebern, ohne ihre berühmte Zurückhaltung aufzugeben. Die zerlumpten jungen Männer des Elendsquartiers waren so nahe an die Frau herangerückt, wie sie sich trauten; sie nannte sich Luzifer und verbarg ihre auffällige Montur unter einer khakifarbenen Decke. Sie beteten sie an. Die Frauen blickten sehnsüchtig auf Auk und Krischna, bewunderten ihre glänzende Körperfülle. Mütter ließen ihre sonderbar gestalteten Babys von ihnen segnen.
Ihre Lobpreisungen perlten von Luzifer ab wie das Wasser von ihrem geölten schwarzen Haar. Sie machte sich nichts daraus. »Wir haben versagt«, sagte sie schließlich zu einem besonders aufdringlichen Gratulanten. Sie sagte es nüchtern, bescheiden. »Sie haben uns die Nahrung nicht gegeben. Wir mussten sie ihnen abnehmen.« Wie zur Erinnerung berührte sie die Stange, die vor ihr am Boden lag.
Ein kleiner Mann mit einem braunen Schlapphut auf dem Kopf zeigte nach oben in den Wirrwarr aus Lumpen und gewelltem Alublech, in die bröckligen Zellen des Neokortex, in dem sie zu Hause waren. Dort hingen reihenweise kleine, geschwärzte Körper. Manche sahen aus wie Katzen, andere wie große Ratten und wieder andere wie übergroße Wiesel mit langem Hals und Beinmuskeln.
»Wir brauchen deren Rindfleisch nicht!«, stichelte der Mann. »Wir haben Fleisch genug. Zu viel Fleisch macht dumm.« Er setzte den schmutzigen Zeigefinger an die Schläfe und bohrte, wobei ihm der Hut aufs andere Ohr kippte. »Du kriegst Rindfleisch ins Hirn!«
Ein Chor des Unmuts bei den Reichen und bei den Crewmitgliedern, die unwidersprochen fett und träge und gewöhnlich nicht in der Lage waren, mit auf den Rücken gefesselten Händen vorwärts in eine Grube zu marschieren. »Der Käpt’n fuhr früher’nen Frachter« begann ein Chor von Bälgern zu singen, die schnelle Version, alle Verse laut und deutlich, wobei es ab und zu einen Klaps oder eins hinter die Ohren gab.
»Erzähl uns noch mal von deinem Tattoo«, wandte sich ein mageres Mädchen keck an einen Tombo, dessen Blick immer wieder zu den Bierkrügen zurückkehrte. Er war so sehr einer von den Ansässigen und ihnen dennoch so überlegen: Er hatte sich zur Weisheit der Faust bekannt. Er war ein Traum: Sein Körper war geschmeidig wie eine Peitsche und sein Kopf an den Seiten rasiert, was den Jungen konzentriert und zweckbestimmt wirken ließ. Er roch nach Olivenöl.
Er wischte den Ärmel zurück und zeigte ihnen die drei gebogenen Linien, grüne Linien auf gelbbrauner Haut. Er erklärte ihnen die Bedeutung, zwar noch nicht mit der gebotenen Knappheit, aber er arbeitete daran: »Das ist eine Libelle. Libelle heißt auf Japanisch Tombo. Alle, die von der Erde kommen, wissen, dass die Libelle ein schönes Insekt ist. Ein wunderschönes, aber ihr Leben ist kurz.«
»Wie kurz?«, fragte ein ernster Knirps.
Der junge Soldat antwortete mit einem Fingerschnippen: »Kurz wie die Libelle, Tombos sind immer bereit zu sterben, jede Minute.«
»Und du bist schön«, murmelte das magere Mädchen heiser. Doch der junge Tombo hörte sie nicht. Er sah betrübt zu den kränklich krähenden Babys hinüber. Mit dem drohenden Tod zu leben, versprach nicht immer Ruhm und Ehre.
Luzifer bemerkte die Zerstreutheit des Burschen und sprang
für ihn ein. »Das ist das Motto des Tombo«, erklärte sie allen. »Leicht in der Luft sein und leicht im Leben.«
Eine fettleibige Frau lachte. »Wir sind alle längst tot«, sagte sie barsch, dann mit einer Art Galgenhumor: »Deshalb heißt du auch Luzifer! Wir wissen, dass das die Hölle ist.« Wie auf Bestellung explodierte unter ihnen ein Feuerwerkskörper. Die Bälger quietschten vor Vergnügen, als sie die erschrockenen Gesichter ihrer Großeltern sahen.
Es gefiel Luzifer, wie die Leute die Hoffnungslosigkeit der grausamen Schächte in den Schwitzkasten nahmen. Ihre vertikalen Dörfer waren Vogelnester, die nach Unrat und Krankheit stanken. Sie bettelten nicht. Sie hatten vergessen, was Geld war, manche zumindest.
»Die Geheimnisvolle wird sich um uns kümmern«, sagte ein Mann mit dem Gesicht eines Frettchens. Obwohl bislang nichts darauf hindeutete, dass die Raubzüge der wundersamen Diebin in irgendeiner Weise den Hilflosen oder Armen zugutekamen, bewahrten sich diese Leute einen fast sturen Glauben an ihre
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