Sonnenwanderer
Kruzifix. Es war aus Holz, silbern angestrichen und mit Edelsteinen und Spiegelstückchen verziert. »Das gehörnte Tier wird nicht durch die Waffen des Leibes besiegt«, schnaufte der Exorzist, »sondern nur durch die Waffen des Geistes!«
Dodger war es leid. Genug Schocks. Genug Ungereimtheiten. Sie streckte die Arme nach der blassen und erschütterten Johanna aus. »Komm, lass uns gehen.«
Sie nahmen noch Sepia mit.
Am Fuß der Riesentreppe erwartete sie ein schwarz emailliertes Geschöpf mit leuchtend roten Augen auf seiner fliegenden Untertasse. »Hier seid ihr also«, sagte der Cherub mit der Stimme eines kleinen Mädchens.
»Xtaska!«, stöhnte Johanna entkräftet.
»Wir haben sie gefunden«, sagte Käpt’n Gillespie während einer allgemeinen Verschnaufpause. »Oder Sepia hat uns gefunden, ich weiß es nicht.«
»Na ja, Sie haben die Expedition ganz schön vom Weg abgebracht«, sagte Xtaska zu Sepia. Er schwebte direkt vor ihrer Nase. »Aber Ihre Methode ist interessant. Ich werde mich eingehend mit Ihnen befassen.«
Sepia riss erschrocken den Arm vors Gesicht, nahm ihn aber sofort wieder herunter, bespuckte Xtaska und humpelte energisch von dannen. Der Cherub reagierte nicht. Er schwebte auf der Stelle, und die Spucke rann die schwarze Pausbacke herunter. Die Leute lachten nervös. Johanna wischte den Speichel mit ihrem Ärmel fort. »Wie geht es Käpt’n Jute?«, fragte Dodger. Gespannt beobachtete sie das spiegelglatte schwarze Gesicht des Cherub, obwohl es sinnlos war, darin lesen zu wollen.
»Sie ist ziemlich erschöpft«, sagte der Cherub. »Es ist viel passiert, seit Sie aufgebrochen sind.«
»Hören Sie, Chefin«, sagte Lloyd. »Bewegen wir uns vorwärts in der Zeit? Oder bewegt sich das Schiff rückwärts in der Zeit?«
Xtaska ging nicht darauf ein. Sie erzählte ihnen von dem kleinen Gespenst, das dem Käpt’n erschienen war.
»Noch eins?«, sagte Johanna entnervt. »Das ganze Schiff ist doch verhext.«
»Erzähl das Xavier«, sagte Dodger über die Schulter blickend. »Vielleicht sattelt er um, und wir jagen das kleine Gör.«
Die klare Kleinmädchenstimme klang schaurig in der Düsternis, als Xtaska das Gedicht des neuen Phantoms rezitierte:
…
Ihre Spiegel spiegelten sich wie noch nie. »Das Bujam hat euch beim Schlafittchen!«, schrie Mademoiselle Will-Nicht.
»Und was bitte soll das bedeuten?«, fragte Johanna, die keinen Schimmer hatte.
In Xtaskas Haut spiegelten sich sämtliche Helmlampen und aktiven Displays der Untertasse. »Es bedeutet, dass wir die Geheimnisvolle finden müssen«, erwiderte Xtaska.
»Warum einfach, wenn es auch umständlich geht«, sagte Dodger mehr zu sich selbst.
»Was ist ein Bujam?«, wollte Johanna wissen. Sie erntete nur Schulterzucken. »Es ist doch nicht das große Ding in der Höhle?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme.
Dodger hatte sich einen angerauchten Glimmstängel angezündet und blies den Rauchstrahl in die Luft. Sie pflückte sich einen Tabakkrümel von der Zunge. »Stellt das Gedicht so etwas wie eine Drohung dar?«, fragte sie Xtaska.
»Höchstwahrscheinlich eine Warnung. Die exakte Beschreibung einer ganz speziellen Gefahr.« Die Reflexe in Xtaskas Haut veränderten sich, verharrten, veränderten sich. »Der Code muss ausgesprochen idiomatisch sein«, meinte sie.
Dodger dachte an Tabea, die von mysteriösen Besuchern geplagt wurde. Sie dachte an den Cadillac und seinen Zustand.
Ihr Zwerchfell verhärtete sich. Wie lange waren sie schon unterwegs? Wie lange genau?
Xtaskas Untertasse summte. »Können wir aufbrechen?«
Käpt’n Gillespies Arm schmerzte. Ihre Füße waren wund gelaufen. »Wusstest du Bescheid?«, fragte sie den Cherub.
»Über Big Chap«, vervollständigte Johanna die Frage. Sie zog die Knie hoch und legte den Kopf darauf.
Die Fliegende Untertasse rollte sanft auf einem Luftzug.
»Klar wusste sie Bescheid«, sagte Lloyd.
»Und Tabea?«, fragte Dodger.
»Sie hat sich nie besonders interessiert«, erwiderte Xtaska.
»Du hast es ihr verschwiegen, meinst du. Du wolltest sie schonen.« Der Cherub schwieg. Seine Augen glühten unergründlich.
Professor Xavier wankte heran. »Dieses Ding in der Höhle … es lebt!«
»Korrekt«, sagte die schwarz verchromte Ausgeburt der Seraphim. Tatsächlich hielt sie die verschiedenen Reaktionen für reichlich einfältig, wenn nicht für völlig irrelevant.
Trotz Xtaskas Anwesenheit zog Lloyd es vor, bei denen zu bleiben, die mit Kanal 9 die Vorhut bildeten.
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