Sonnenwanderer
zurückhaben.
Aber ich wusste - ich wusste - ich wusste, dass ich dich kenne«, stammelte sie. »Von früher irgendwo.«
»Trng«, brachte Dog Schwartz heraus. »Trenkn.«
Käpt’n Jute stieß geistesabwesend die Hände in die Manteltaschen. Sie blickte auf den Sattel, als hoffe sie, dort etwas zu sehen. Ihre Bewegungen waren träge, wie unter einem Beruhigungsmittel, auch ihre Sprechweise.
»Ich hatte immer diese Tasche dabei, jawohl«, sagte sie, »diese große Tasche. Immer und überall! Ich hab sie von Merkur bis Charon mit mir herumgeschleppt. Ich hatte immer ein paar Dosen Bier dabei. Ich hätte dir jetzt eins geben können, wenn ich meine Tasche noch hätte.« Sie warf immerzu ihren zottigen Kopf und schniefte kurz. »Wo war das? Ich meine, wo ich - wo du …? Ach, komm, ich geb‘s auf.«
»Putzen«, brachte Dog Schwartz heraus. Wenn er ihr half, half sie ihm vielleicht auch. »Fenster.«
Tabea Jute öffnete den Mund zu einem stummen O und zeigte auf ihn. »Rechtschaffenheit-II!«, sagte sie. »Wir waren in derselben Kolonne. Gerade habe ich daran gedacht. Vorhin. Vorhin, als …« Sie schüttelte den Kopf und gab auf. »Ja!«, rief sie, ließ sich vom Motorrad rutschen und kam auf ihn zu. »Du bist wer noch mal? Dog, Dog Dingsda. Hallo, Dog! Ein komisches Wiedersehen. Wie geht es dir, alter Kumpel?«
Sie stieß mit der Schuhspitze an seine Schulter. Er tat einen kleinen Schrei.
»Überhaupt nicht gut, was?«, fragte sie.
Sie hockte sich hin und blickte ihm ins Gesicht. Seine Augen waren glanzlos, die Pupillen nicht größer als Nadelstiche. Wie bei ihr. Sie nickte ihn weise an, blickte an die Decke. Ihre Atemwolken vermischten sich beim Aufsteigen.
»Das ist jetzt Chaos-Territorium, oder?«
»Unten«, sagte Dog. Er versuchte den Kopf zu bewegen, um ihr den Weg zu zeigen.
»Ich komme nicht mehr oft nach achtern«, erklärte sie ihm. »Na ja, du weißt schon. Es bekommt mir einfach nicht.«
Sie zeigte ihm ihre Hände. Sie waren zerschunden und blutig, als habe sie ungewöhnlich lange auf etwas Hartes eingeschlagen. Sie schenkte ihm ein verträumtes Lächeln.
»Es tut nicht weh«, versicherte sie ihm. »Nichts tut weh, wenn du erst mal einen Freund hast.«
Dog Schwartz vermisste ihren Leibwächter; doch wie es aussah, war sie mutterseelenallein.
Sie langte unter ihr T-Shirt.
»Ich hab’s schon der Obristin gesagt«, holte sie aus. »Leute wie du und Kenny und Lomax. Ich fange an … mich mit euren … Ansichten … anzufreunden.« Sie schien sich etwas von der Haut zu pellen.
»Weißt du, was ich glaube?«, fragte sie weiter und runzelte die Stirn, als sie sich konzentrierte. »Ich glaube, es ist das Schiff. Ich war ein normales, gut aufgelegtes Ding, bevor ich die Alice Liddell bekam. Bin ich doch immer noch, oder? Trotz … trotz allem.«
Sie nahm die Hand von ihrem Busen und hielt sie Dog Schwartz hin. Da war etwas an der Spitze ihres Zeigefingers. Es sah aus wie eine winzige gehäutete Litschipflaume, nur dass es braun war.
»Willst du einen?«, fragte sie. »Das Bein tut nicht mehr weh. Nichts tut dir mehr weh.«
Dann zog sie die Hand zurück und besah sich das glänzende kleine Ding, das am Ende ihres Fingers klebte.
»Du kriegst aber keinen«, sagte sie. »Warum sollst du nicht zur Abwechslung mal leiden? Rechtschaffenheit-II, zur Hölle damit, heute drehen wir das Rad mal richtig zurück!«
Durch die Feuersbrunst hindurch versuchte Dog Schwartz sich auf Tabea zu konzentrieren. Wenn er sie jetzt in die Hände bekam, hatte er auch Grant in der Hand. Er malte sich aus, wie Grant auf allen vieren gekrochen kam und ihn anflehte. Er hatte Personenschutz dabei: einen Magnani-Neutralisator. Am Motorrad.
»Ach, was sage ich«, sagte Tabea mitleidig und kauerte sich wieder zu ihm. »Da hast du auch einen.«
Sie streifte ihm das Hemd hoch. Die Stirn gekraust, brachte sie den Blutegel dazu, von ihrem Finger auf Dogs gewaltigen, bleichen Bauch zu wechseln. Mit ein paar winzigen, schubbrigen Bewegungen richtete sich das Tierchen ein.
»Das ist unsere natürliche Medizin«, sagte sie und sah zu, wie sich der Egel ansaugte. »Jeder frisst den anderen.«
Völlig durcheinander starrte Dog Schwartz erst auf die winzige, saugende Kreatur und dann auf seine frühere Mitgefangene. Etwas begann einen Graben zwischen ihn und das Feuer zu ziehen und diesen Graben mit federleichter Asche zu füllen. Die Hitze waberte immer noch, aber ein Stück weiter weg.
»Jeder frisst den anderen«, wiederholte
Weitere Kostenlose Bücher