Sonnenwanderer
rum, du blöder Affe!«, schrie er.
Sie gehorchte. Sie blieb nicht stehen.
Sie sprang ihn mit allen vier Pfoten an.
Seit Jahren hatte sie nicht mehr gejagt und getötet, nicht mehr, seit die Eladeldi sie eingefangen hatten. Die scharfe, rote, salzige Ekstase sprengte die Zügel. Es war eine Sache von Sekunden, dem kreischenden Menschen den Kehlkopf herauszureißen.
Auf dem Bett wickelte Sarah gerade einen Kissenbezug um ihr blutendes Handgelenk. »Endlich mal eine gute Idee«, beschwerte sie sich bei der Schrantin. Endlich! Sie war schon eine Ewigkeit hier. Sie löste die letzte Fußfessel, ließ sich aus dem Bett plumpsen und landete in einem Haufen versauter Unterwäsche. Krampfhaft bemüht, nicht auf den Boden zu blicken, rappelte sie sich auf und torkelte zur offenen Tür.
Draußen empfing sie der Irrwisch.
Mit einem schrillen Aufschrei ließ Sarah sich auf ein Knie fallen. Brummend wie eine gigantische Holzbiene schoss der kleine Berserker über sie hinweg.
»Jogo!«, schrie Sarah. »Jogo, ruf ihn! Ruf ihn zurück!«
Sie rollte sich auf den Rücken und trat nach dem Ding, als es sich wieder auf sie stürzte, und zwar mit beiden Füßen gleichzeitig.
Ein heftiger elektrischer Schlag fegte sie den Gang und eine Rampe hinunter. Als sie zu sich kam, lag sie zusammengerollt auf dem Teppichboden des Salons. Sie hatte überall blaue Flecken, und alles tat ihr weh. Ihr Mund war voller Ozongeschmack, auch roch es nach versengtem Haar.
Der Irrwisch kreiste, nahm die Nase runter und stürzte sich erneut auf sie.
Sarah warf sich auf die Seite und rumste in die Beine eines AV-Decks. Sie zog sich unter das Deck und grapschte nach den Kabeln, die reichlich aus den Ein- und Ausgängen der Geräte hingen. Der Irrwisch flog niedrig und direkt auf sie zu.
Metallboxen, Decoder, BluRay-Deck, Tuner und Receiver stürzten auf den Boden und versperrten ihm den Weg. Als er auf Zickzackkurs ging, hob die Akrobatin die Beine, drehte sich auf der Hüfte und holte mit einem losen Kabel aus. Sie schlug ihm quer über den Brustabschnitt und schleuderte ihn gut zwei Meter aus der Bahn. Hastig krabbelte sie unter dem Deck hervor und stieß es in dem Bemühen, ihre tauben, gequälten Füße unter sich zu bekommen, versehentlich über den Haufen. Der Cyborg erholte sich rasch, stotterte und fauchte, schlug einen Bogen und setzte wieder zum Sturzflug an.
Sie konnte weiter nichts als dastehen, gebückt, ihres Körpers nicht mehr mächtig, geschwächt durch Bewegungsmangel, ein Karussell aus Hunger, Pharmaka und Adrenalin im Kopf. Sie wickelte sich das Kabel um die Hand, blickte in das kleine dreieckige Maul, sah die Reihen spitzer Zähnchen …
Und duckte sich im letzten Moment unter den Bogen seiner Flugbahn und machte den Überschlag vorwärts. Sie stieß einen Schrei aus, als sie zutrat.
Der Irrwisch wurde zurückgeschleudert und knallte mit dem Köpfchen auf die Ecke eines Regals. Er fiel zu Boden, wo er
unkontrolliert kreiselte und schauderhaft winselte. Aus den Rissen in Keramik und Kunststoff quoll grüner Schleim, die Nähte zwischen Stahl und und Kunstfleisch platzten auf.
Sarah wankte zu dem Regal voller Gerätschaften. Sie stieß einen lauten, scharfen Schrei aus, als sie es umstieß und das widerwärtige Spielzeug darunter begrub. Einen Augenblick lang kniete sie sich hin, den Kopf auf der Armlehne einer Couch. Sie musste sich übergeben, aber ihr Magen war leer. Während der Salon ringsherum hin und her kippte, kletterte sie wieder auf die Füße. »Tabea«, sagte sie zu den blinkernden Festspeichern, den Vid-Kameras und den dazugehörigen Mikros. »Tabea.«
In der pinkrosaroten Luxuskabine malte Karl der Kojote einen Eisenbahntunnel auf die Stirn einer Klippe. Jogo war noch nicht fertig. In ihrem Rausch hatte sie den Fang über den Boden geschleift.
Sarah taumelte durch die Tür, wollte nicht hinsehen, sah aber trotzdem, dass der Kopf des Tyrannen fehlte. Er lag zusammen mit lauter elektronischen Geräten an der Wand. In einem ungewöhnlichen Winkel, als zolle er irgendjemandem auf drollige Weise Respekt. An seinem Ohr hing noch die kaputte Brille. Die Frisur war tadellos wie immer.
Einen leisen, hohen Klagelaut im Mund, mehrfach unter Schock, fand Sarah Zodiak das abgelegte graue Feinkordjackett, fasste in die Innentasche und fand den Edelstein, der alle privaten Schlösser und Lifte öffnete. Die Kabine begann sich zu drehen. Sarah lehnte am Türpfosten. »Du solltest besser mitkommen«, sagte sie an die
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