Sonnenwanderer

Fahrzeugen und ringsherum, befingerten ihre Narben, tranken und lachten. An den Wasserzisternen polierten die Schwestern ihre Köpfe und feilten an ihren Zähnen. Ihre Brustwarzen hatten sie schwarz gefärbt, und sie trugen ihre besten Ketten.
    Überall in der Oxygrube glühten die Schmiedefeuer für die
Räder der Halluzinomaten. Jenseits des Tors lag der Cañon ausgestorben und randvoll mit tiefschwarzer Nacht.
    Dog Schwartz klopfte Norval Khan begeistert auf die Schulter. »Alles oder nichts, was, Norval?«
     
    Sie war stark wie eine Katze und wendig wie ein Affe. Sie hatte sich die Kleider vom Leib gerissen. Wie eine gelbbraune Rauchfahne fegte sie die Luftschächte und Spalten hinauf. Sie war dem Käfig seiner Finger, dem Gefängnis seiner Augen entkommen. Jetzt floh sie nur noch vor seinem Geruch.
    Die Menschenfrau auf ihrem Rücken war federleicht, die Arme um ihren Hals dünn und weiß. Die Frau hatte den Tyrannen mit letzter Kraft außer Gefecht gesetzt. Jogo hatte im Schiff ein Exoskelett gefunden und dieses der Menschin angelegt. Jogo wusste, dass das Gerät stärker machte. Aus Furcht vor Fallen hatte sie sonst nichts berührt. Jogo hatte nie vergessen, wie ihre Schwester Aughari vom Baum gefallen war und sich verletzt hatte. Jogo war sieben, Aughari neun oder zehn. Sie musste Aughari nach Hause tragen, über zwei Flüsse, ohne Deckung. Aughari hatte auf dem ganzen Weg geschrien und geflucht. Der Stharauq war aufgetaucht, hatte seine Kreise am weißen Himmel gezogen und sie nicht mehr aus den Augen gelassen. Die Schmerzen hatten Aughari rasend gemacht, und in ihrer Raserei hatte sie Jogos Schultern blutig gekratzt.
    Hier waren die Tunnel aus Glas. Alles war nass und tropfte. Der Schlamm war harschig und tief und der Untergrund tückisch. »Nimm den oberen …«, murmelte die Menschin an ihrem Ohr. Sie redete nicht zu Ende, und Jogo fragte nicht. Fleisch und Blut des Tyrannen waren in ihr und machten sie stark und unbesiegbar.
    Sie kamen an einen Abluftschacht. Jogo steckte den Kopf
zwischen die stillstehenden Schaufeln und spähte in den Tunnel darunter. Sie duckte sich zurück, die Lippen geschürzt. Die Menschin glitt von ihrem Rücken. Das Exoskelett warf Wellen und entlastete. Die Menschenaugen starrten aus dem Dunkel. »Was ist los?«, fragte die Frau vorwurfsvoll.
    Die Schrantin schwieg. Von unten kamen konfuse Gerüche herauf und mischten sich in den Schlammgeruch: Waffenöl, Altairer, Medizin. Sie hob wieder die Schnauze. Ob das der Ort war? Sie schnupperte. In ihrem Bauch braute sich Erregung zusammen.
    Kurz surrte ein Servo, als die Menschin sich aufrichtete. Sie hob den Arm und stützte sich auf das Gehäuse des Abluftschachts.
    »Essen«, sagte sie. »Wir müssen nach …« In dem Glastunnel klang die raue Stimme mechanisch. Jogo hatte die Menschin mit einer Geste zum Schweigen gebracht und versuchte die Revisionsluke zu öffnen, kannte aber den Mechanismus nicht. Die Menschin ging ihr mühsam und ächzend zur Hand.
    Jogo besah sich ihre Bürde. »Tu pleips«, sagte sie.
    Sie ließ sich kopfüber hinunter und landete mit einem kurzen, perligen Geräusch. Tatzen auf Kunststoffboden.
    Sarah Zodiak legte sich vorsichtig auf den Bauch, sie steckte den Kopf aus der Luke.
    An der Tunnelbiegung tauchte ein anderer Schrante auf: männlich, Datenvisier, schusssicheres graues Wams und orangefarbene Knickerbocker. Er hielt eine schwere Automatik im Anschlag.
    Kenny hatte sofort den Durchblick: der unerwartete Besuch, die offene Luke.
    Jogo kroch auf ihn zu, den Bauch am Boden, Kopf zurück, Ohren gespitzt. Die erstickten Schreie ihrer Wiedervereinigung schwängerten die Altluft mit Sehnsucht.

    »Können wir davon ausgehen, Obristin, dass Käpt’n Jute während der Annäherung total ausfällt?«
    Obristin Stark besah sich ihre Daumennägel. Ihre Hände lagen gefaltet auf der Steuerkonsole vor ihrem schweren blauen Stahlrohrsessel. Sie hatte ihr Barett abgenommen und auf das verwaiste Spezial-Lesegerät für die Ego-Platte gelegt. Auf dem Gerät prangte der Name »Alice«.
    »Sehen Sie, Frau Thorwald«, sagte sie und schenkte der Interviewerin von Kanal 10 einen offenen und freundlichen Blick, »das vom Exekutivkomitee berufene Personal arbeitet jetzt intensiv daran, uns sicher in den Realraum zurückzubringen.« Die Kamera besichtigte eine emsige, wenn auch ein bisschen geduckte Brücke. Alle Späße und Abziehbilder waren entfernt und der Unrat beseitigt worden. Jeder Schreibtisch, jede Konsole war