Sonnenwanderer
hatten sie ihre Heimat jemals verlassen? Capella hatte gesagt »Kommt«, und sie waren gekommen, Hunderte, hüpfend und schnatternd und einander mit Speichel tröstend, die ganze hässliche graue Wüste hindurch zu einem System mit nur einer stechenden Sonne und lauten, scharfkantigen, hassenswerten Planeten, wo alles aus Metall gemacht und mit Feuer gefüllt war. Sie weinten und pfiffen und rieben sich verzweifelt das Gesicht. Sie steckten sich die Pfoten in den Mund und dachten an ihr langes Exil in den Betonkorridoren von Mntzi, und sie jammerten um die alten Leute, die sie auf dem künstlichen
Mond zurückgelassen hatten. Dann fiel es ihnen wieder ein. Sie kehrten heim! Heim! »Heihhhm!« Sie würden die Bomwiesen wiedersehen und die Krallenaffen, deren Knochen wie Zucker krachten, und die Sexteiche von Glücksstück mit ihren klebrigen Rutschen und persönlichen Kehllappenmümmlern! Alles würde wieder gut und alle ihre neuen Freunde glücklich sein, und sie würden das Raumschiff kurz und klein schlagen und die Heimat nie wieder verlassen!
Zu Plentys Orbitalzeiten hatten Erstbesucher, bevor sie in die Kasinos, Sexbars und Schießstände fanden, erst einmal den Erdsaal aufgesucht. Die weniger Anspruchsvollen waren hier sitzengeblieben und hatten den blauen Erdball betrachtet. Hatten durch die Panoramafenster die weißen Strudel der Stürme verfolgt und dabei den Wetternachrichten in ihren Kopfhörern gelauscht. Sie hatten sich einen Spaß daraus gemacht, im orbitalen Gewimmel eigenartige Gebilde, Bauwerke und Raumfahrzeuge auszumachen und anhand ihrer Silhouette zu identifizieren.
In den ersten Reisewochen hatte die Party den Erdsaal favorisiert. Man fand es immer wieder faszinierend, wenn die teigige graue Leere da draußen plötzlich purpurrot aufblitzte oder bugwärts abertausend feinste Risse und Moirémuster bekam. Zuweilen konnte man sie fast riechen: die fernen, aktinischen Entladungen, gewaltige Ereignisse in der wirklichen Wirklichkeit. Blitze rochen so ähnlich. Dann wurde gekreischt und geklatscht. »Feuerwerk!« Was immer da passierte, wo immer es passierte, man war heilfroh, nicht dabei zu sein.
Allmählich war aus dem widerspenstigen Hypermedium eine kalte graue Suppe aus Unbestimmtheit geworden. Das letzte Zeugnis einer objektiven Realität war eine Reihe von
vagen, gebrochenen Linien gewesen, die sich querab an Steuerbord undeutlich herumgetrieben hatten, wie Kniffe in feiner Gaze oder Sprünge in einem Spiegel. Manche schienen nicht aufzupassen und drifteten durch das Glas in den Ballsaal. Als die Brücke bekannt gab, es würde sich dabei um Spuren von Neptun und seinen Monden handeln, die im richtigen Raum allmählich zurückfielen, hatten alle versucht, das Phänomen zu fotografieren. Dann hatten die Girandole-Jungs den Pfauenpark entdeckt und ließen wissen, dort sei der Bär los, und alle machten sich auf den Weg dahin. Nur ein paar Langweiler hatten unbedingt bleiben und trauern und zusehen wollen, wie die imaginären Linien sich vollends auflösten - »denn wenn niemand da ist, der sie beobachtet, dann sind sie auch nicht da, kapiert?«
Heute, wie seit langem schon, gab es im Erdsaal nichts zu sehen. Der Ausblick war so leer und nichtssagend wie ein ungemaltes Bild. Dodger Gillespie saß allein auf der roten Plüschbank. Sie saß mit gespreizten Beinen, die Jacke lag neben ihr. In ihrem Kopf lief ein Film. Lauren Bacall fragte Walter Brennan: »Bist du jemals von einer toten Biene gestochen worden?« Walter Brennan schlug die Hände an die Ohren und sah Lauren Bacall besorgt an. Käpt’n Gillespie kratzte sich im Nacken. Sie trug Cowboystiefel, Leinenhosen und ein Muskelshirt. Ihr war heiß. Sie langweilte sich.
Verstärkt durch den hohlen Tunnel, drang das gespenstische Schnurren eines Motors an ihre Ohren.
Käpt’n Gillespie unterbrach den Film und stieg aus. Sie lauschte. Das Geräusch wurde immer lauter.
Sie fixierte das entfernte Portal des verwaisten Ballsaals. Dann sah sie von dort etwas kommen.
Ein kleines rotes Auto.
Käpt’n Gillespie stützte sich mit beiden Ellbogen auf die Knie.
Was da mit Karacho auf sie zukam, war ein ehemaliger Service-Buggy, zweckentfremdet, aufgemotzt und feuerwehrrot gespritzt. Sein neuer Besitzer hatte das Elektroauto mit zwei Stabantennen und enormen Kotflügeln ausgestattet, zu breit für hiesige Verhältnisse, weshalb sie inzwischen ziemlich zerschrammt und eingedellt waren. Der braune junge Mann am Steuer trug eine gewaltige
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