Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland

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Gewaltanwendung, Entführung und Menschenraub, Fliegen ohne gebotene Sorgfalt und Aufmerksamkeit, unterlassene Wartung, Lizenzverletzungen und nicht angetretener Arrest. Sie war derart über Kreuz mit den hier Ansässigen, dass man geprüft hatte, welches Gericht für sie zuständig war. Dann war man auf ihre Akte in Schiaparelli auf dem Mars gestoßen. Tabea Jute war dort zu einer ansehnlichen Geldstrafe verurteilt worden, die noch nicht bezahlt war, und zwar wegen Beteiligung an einer Schlägerei, öffentlicher Ruhestörung und tätlicher Geringschätzung der Harmonie zwischen den Spezies.
    Lauter interessantes Material. Informationen, die hilfreich waren, um ein Profil zu erstellen.
    Während sich die Daten hübsch in den Speicher sortierten, hielt Grant Nichtsweiter seiner Gefährtin die Hand hin, die sie mit ihrer kleinen, trockenen Zunge leckte.
    »Die hat eine ziemliche Vergangenheit, Jogo«, plauderte er. »Fragt sich, was sie für eine Zukunft hat.«
    Jogo wusste, wer Tabea war. Sie wusste, dass ihr Mann ein
Jäger war, der mit tausend unsichtbaren Waffen Jagd auf Käpt’n Tabea Jute, die Menschenfrau, machte.
    Jogo hatte sie noch nie leibhaftig gesehen. Sie kannte sie nur vom AV-Schirm: ihren lächelnden Mund und die blitzenden Zähne; den langen, offenen Mantel; ihre Haltung: die Hände auf den Hüften wie eine Gang-Queen. Manchmal, in niedrigen, dunklen Fußröhren, meinte sie den Geist dieser Frau zu spüren, der wie ein großer schwarzer Vogel über ihr kreiste, lautlos und mit weiten, unsichtbaren Schwingen.
    Jogo hörte den Stolz ihres Mannes murmeln, es war ein majestätisches Murmeln, das sich laut an sie wandte und ihr befahl, Augenzeuge zu sein. Es nötigte sie, zuzusehen, wie er in den flackernden blauen Buchstaben die Spur der Menschenfrau las; zuzusehen, wie er sein weites, unsichtbares Fangnetz auslegte.
    Jogo bettete den Kopf auf sein Knie. Es war heiß. Der Geruch des toten Polizisten wurde komplexer, aufdringlicher. Die zahllosen Fäulnisprozesse bildeten ein anders geartetes Display, stellten andere Ansprüche an ihre Aufmerksamkeit. Dem Teil von ihr, der noch im Buschland eines kleinen braunen Planeten irgendwo in den Tiefen von Kassiopeia weilte, sagte dieser Geruch: Mach einen großen Bogen um die Stelle. Denn bald würde der Stharauq kommen und sich mit den anderen Aasfressern und Fliegen um die fragwürdigen Reste zanken. Der Geruch strahlte eine olfaktorische Symphonie von Gift und Raubtieren aus, von Traurigkeit und nächtlichem Geheul.
    Aber hier war nicht das Buschland. Hier gab es kein Gras, keinen grünen Himmel mit blauen Flecken, keine Brumingehölze oder Wassergruben. Hier gab es nur blassgrauen Putz und Beton über einer dicken Kruste aus frasquischen Sekreten. Die Düfte im kanalisierten Wind waren scharf und faulig, chemisch
und beunruhigend. Doch Jogo wollte bleiben, wo sie war, und ignorieren, was zu ignorieren war, und schweigen, wenn sie zu schweigen hatte.

    Im äußeren Zimmer musterte Grant Nichtsweiter die Gestalten, die das schmutzige, bernsteinfarbene Glühen der Kluft an die leeren Wände warf; er hätte nicht sagen können, ob er diese Nacht schon geschlafen hatte oder nicht. Unter ihm, wie die Galerien eines unterirdischen Labyrinths, schwangen sich unzählige Straßen von nirgendwo nach irgendwo. Es war so heiß wie in der Spalte eines Vulkans, so heiß wie am Rand der Hölle.
    »Jogo. Hier drinnen.«
    Grant Nichtsweiter war kein Spieler. Spielen bedeutete den absichtlichen Verzicht auf Kontrolle und war deshalb völlig unattraktiv. Er jonglierte nur mit wohlbekannten Mengen und Summen. Warum sollte man ein Spiel spielen, von dem man nicht wusste, dass man es gewinnen würde.
    Dass die ganze Reise womöglich nur ein Spiel mit unkalkulierbaren Risiken ohne gesicherte Erfolgsaussichten war, hätte ihn kaltgelassen. Sein Interesse galt dem Usurpator seiner Orbitalstation, nicht irgendeinem hypothetischen Landfall. Es gab viel herauszufinden, viel zu gewinnen. Die Früchte von heute sind das Saatgut von morgen.
    Die Schatten mehrten sich rings um die beiden Nervensysteme, die sich kurzzuschließen suchten, zwei Seelen, die miteinander rangen, als wollten sie Besitz von ein und demselben Körper ergreifen. Grant Nichtsweiter griff mit beiden Händen in Jogos Fell und glitt zwischen ihre Beine. Jene gewaltigen Buschland-Schenkel, für die sein Rückgrat nicht mehr als ein Strohhalm war, öffneten sich noch einmal für ihn. Er krallte
seine Fingernägel