Sonnenwanderer
ausgesehen. Er redete freimütig über seine Ängste und Hoffnungen. »Käpt’n Jute und ich, Geneva«, sagte er, »wir sind uns sehr wichtig. Aber vielleicht sollte ich nicht darüber reden.« Er zuckte bescheiden mit den Schultern und dann vor Schmerz. Irgendwie drückte diese doppelte Bewegung seine Unentbehrlichkeit, seine Tapferkeit und seine fürchterlichen Schmerzen aus. Es war ein guter Moment; Elise hatte ihn ein wenig gestreckt.
Geneva McCann fragte: »Hat Käpt’n Jute schon nach Ihnen gesehen, Mr. Metz?«
»Ich brauche Ruhe. Tabea weiß das.«
»Sie wollen andeuten, Käpt’n Jute weigert sich, mit Ihnen zu sprechen, Sir?«
Marco spitzte den Mund. »Wir haben unsere Probleme«, sagte er heiser. »Ich will das nicht abstreiten. Käpt’n Jute ist eine ungewöhnliche Frau. Anspruchsvoll«, sagte er und bewegte andeutungsweise die gesunde Schulter unter dem Laken.
Sie brachten einen Exklusivbericht über seine neue Hand. Der Verband wurde abgenommen, dann ein Schnitt. Er gab mit dem neuronalen Cyberhandschuh an, der jetzt integriert war, und spielte mit hinreißender Unsicherheit Love is Everywhere und die Eröffnungstakte von Good King Wenceslas . Er präsentierte sich mit Dr. Irsk, den künstlichen Arm um ihre wulstige Figur gelegt. »Dr. Frankenstein«, nannte er sie. »Kleiner Scherz. Die Frau ist ein Genie.«
Ein paar Monate Reha schlossen sich an: Genesung, Erholung, Training. Von oben in den Sprossenwänden winkte er und lächelte das tapferste aller Lächeln. Er zog sich zahlreiche Bewunderer heran, vor allem Frauen, vor allem solche mit Geld. Es kursierten Gerüchte über andere prothetische Optimierungen.
Seine Rückkehr zur Bühne verzögerte sich. Sein Vertrag wurde wieder und wieder geändert, bis Kanal 9 drohte, ihn fallen zu lassen. Dann war er ruckzuck wieder da. »Ich brauche den Live-Kontakt«, sagte er tief Luft holend. »Den Geruch der Leute«, sagte er draufgängerisch. »Und ich weiß, dass es sentimental klingt, Geneva, aber ich finde, dass ich es den Leuten schuldig bin. Es kommt die Zeit, da muss man seine Schulden bezahlen«, sagte er in die Kamera.
Etliche seiner verflossenen Krankenschwestern hatten spöttisch aufgelacht.
Jetzt erschien Marco Metz im Scheinwerferkegel, breitete die Arme aus. »Danke! Vielen Dank...!«
Der reich verzierte weiße Anzug brachte die prächtige Bräune und den schwarzen Cyberhandschuh voll zur Geltung. Er wusste, dass Käpt’n Jute hier war. Er begrüßte sie, widmete ihr die Vorstellung. Er legte sie allen ans Herz: »Die kühne und furchtlose, die schöne...«
Käpt’n Jute ignorierte ihren rasenden Herzschlag, blendete die Ohren aus. Der König des Merkur-Palasts quakte nur noch, seine Worte waren dröhnende Laute, die einander folgten, sich mit den Echos der anderen verhaspelten und starben. Das Org, das sie vor ihrer Ankunft genommen hatte, huschte durch ihre Emotionen und scheuchte sie über die überbelichteten Synapsen ihres Nervensystems.
Ein synthetisches Orchester produzierte aufgeregte Musik. Marco Metz strich mit der linken Hand über den schwarzen Handschuh. Akkorde aus goldenem Honig plätscherten durch die Luft. Die Leute applaudierten noch verrückter.
»Vielen Dank, meine Damen und Herren...«
Sie hatte vergessen, wie begehrenswert er aussehen konnte, doch sie verdrängte den Gedanken, und zwar gründlich.
Er spielte etwas Sentimentales und Launiges, voller Träller und Triolen. Farbiges Licht bevölkerte die kahle Bühne mit Formen und Schatten. Er sang mit tiefer, abgeschnürter Stimme von Brüderlichkeit in Zeit und Raum.
Capella hatte ihnen das Lied beigebracht, alle hatten es gemocht, mochten es heute noch.
Marco Metz schob den Fuß in einen kleinen Lichtfleck, als tauche er seinen Zeh in eine Wasserlache. Der Schuh glänzte wie poliertes Metall. Er war aus poliertem Metall. Es war sein rechter Fuß, eine komplette Neuanfertigung. Er machte ein paar energische
und fließende Hacken-Zehen-Schritte, dann wirbelte er die Prothese am Fußgelenk um volle 360 Grad. Mehr Applaus.
»Bruder Leichtfuß, ich sag’s ja.« Gesagt hatte das Sarah Zodiak.
Sie saß mit gekreuzten Beinen auf dem Tisch und futterte Kichererbsen-Curry, ihre Fesseln balancierten das Getränk. Sie trug Seehundlederhosen, eine malvenfarbene Shantungbluse und in den Ohren winzig kleine Lapislazuli. Ihre Sachen und das zurückgebundene Haar ließen sie verblüffend männlich aussehen.
»Wann bist du denn gekommen?«
Die Akrobatin lächelte
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