Sonnenwanderer
Ohr.
Käpt’n Jute blickte hin.
Die Bühne war umgebaut worden, in die Attrappe eines Cockpits mit lauter blinkenden LEDs und spiegelnden Oberflächen. Außer dem Star und seinem künstlichen Vogel gab es noch zwei identische, magere Gestalten in identischen blau-silbernen Raumanzügen und eine schwabbelige schwarze Puppe auf einem Teller, die offenbar ferngesteuert wurde. Die Zwillinge klammerten sich vor Schreck aneinander, während der Vogel und die schwarze Puppe mit choreografischen Steilflügen Panik demonstrierten. Marco beherrschte die Bühnenmitte, den künstlichen Arm um etwas drapiert, das wohl eine Art Periskop sein sollte. Er sang: »Die Konterbande kommt! Die Konterbande kriegt die Kuh vom Eis!«, derweil die Cockpitattrappe krängte und gierte.
Sarah Zodiak langte nach unten und suchte Tabeas Hand.
Pilotin des seltsamen Fahrzeugs war eine üppige junge Frau in einer tief ausgeschnittenen Jacke mit lauter Abziehbildchen. Sie trug hautenge Hosen. Sie schien Probleme mit der Steuerung zu haben und fuhr sich dauernd mit dem Handrücken an die Stirn. Das Publikum fand sie unüberhörbar hinreißend.
Käpt’n Jute musste aufgeschrien oder sonstwie ihre Not bekundet haben, denn sie spürte mit einem Mal den aggressiv schnüffelnden Kenny neben sich. Sie schob ihn weg und schaute weiter zu.
An Bord der Schiffsattrappe gab es plötzlich einen Knall mit Funken und Rauch. Die ungewöhnliche Pilotin schrie, sprang auf und warf die Hände hoch. Die Fingernägel sahen aus wie verchromt. Sie taperte zu Marco Metz hinüber und drapierte sich
um ihn herum. »Oh, Mr. Metz!«, schrie sie mit hoher Stimme. »Was machen wir nur?«
Am anderen Ende eines tausend Parsec langen Tunnels hörte Käpt’n Jute Karen Narlikar kichern. Dorcas bugsierte diskret einen Topf mit Org über den Tisch, und Zoe winkte einen Kellner heran und bestellte sich noch ein Bier. Tabea nahm von alledem keine Notiz. Sie ließ das ganze restliche Stück über sich ergehen. Sie saß da wie eine ausgestöpselte Maschine.
Als der Applaus verebbt war und die Beleuchtung wieder aufhellte, saß sie immer noch da, regungslos.
Sarah lehnte sich vor und nahm ihr das Headset mit dem immer noch heruntergeklappten Visier vom Kopf. Sie kämmte ihr mit beiden Händen das Haar zurück, lächelte und küsste sie schwesterlich.
Sie sahen Tabea an, Zoe Primrose und Karen Narlikar und Dorcas Mandebra. Ihre Augenbrauen waren hochgezogen, Zähne und Fingernägel schienen abzuwarten. »Nun?«, wollte Dorcas wissen.
Käpt’n Jute warf einen Blick auf ihren Leibwächter, der neben ihrem Stuhl stand, Knie eingeknickt, Schultern nach vorne. Der Mund stand offen und zeigte die Fangzähne und die tintige Zunge dazwischen.
»Hol ihn her«, sagte sie.
Der Rest der Gang raschelte und murmelte. Tabeas Reaktion fand offenbar Anklang.
Sie sagte: »Gebt mir ein Bier.«
Sarah streichelte Tabeas Schultern, zeigte auf das Bier, das bereits vor ihr stand. Tabea nahm es und trank.
Dann kam Marco. Er trug einen schützenden Umhang. Zwei Frauen tupften und wischten ihm mit einem Handtuch übers
Gesicht. Er winkte ab, lehnte sich über den Tisch. Er wollte nach Tabeas Hand greifen. Tausend Aufnahmegeräte surrten, und Marco Metz griff nach ihrer Hand.
Er hatte sie getäuscht, betrogen, sie rauf und runter, hin und her sechzigmal bis Neptun und zurück gekränkt. Und er würde sie jetzt gleich auf die Wange küssen, es sei denn, sie bewegte endlich ihren Kopf.
Sie bewegte ihren Kopf.
»Tabea«, hörte sie den König des Merkur-Palasts sagen. »Du hättest mir mitteilen sollen, dass du kommst. Ich habe es erst zwei Sekunden vor meinem Auftritt erfahren.«
Er war perfekt gepflegt, selbstgefällig wie immer und glänzte vor Ruhm. Er hatte gerade zweieinhalb Stunden einer aufwändigen Multimedia-Show hinter sich und bewegte sich am Rand der Erschöpfung. MARCO METZ TRIFFT KÄPT’N JUTE! ER ERGREIFT IHRE HAND! Das war der absolute Knüller.
Am Fuß der Treppe standen Leute vom Management und Reporter, die nach oben wollten und ihre Kameras hochhielten. Kenny fletschte richtiggehend die Zähne. Zoe speiste die Presse mit irgendeinem Statement ab: Käpt’n Jute sei tief beeindruckt von der Show und so weiter.
Käpt’n Jute hatte noch nicht ihre Hand bewegt. Marco nahm seine zurück, schnappte seiner Assistentin das Handtuch weg. »Nun komm schon, zum Kuckuck, was hast du geglaubt?«, sagte er und trocknete sich den Schweiß vom Hals.
Er war verlegen. Er tat gut daran,
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