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Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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schalkhaft und legte einen langen Finger auf Tabeas Lippen. Ihre Nase war kerzengerade und wachsweiß. Die Augenlider aus Porzellan. Sie senkte sinnlich die Wimpern, hob sie. Sie waren mit dem leisesten Hauch von Kobaltblau bestäubt.
     
    Sie lehnte sich runter und prüfte Tabeas Pupillen; dann pflanzte sie einen würzigen, fettigen Kuss auf Tabeas Mund.
    »Du darfst keine Angst haben«, sagte sie.
    »Ich habe keine Angst, verdammt.«
    Alle starrten auf Mr. Entertainment. Eben sang er von den Palernischen Hainen und tanzte in den Reflexen einer kabbelnden grünen See, wobei er auf seinem Handschuh ein wehmütiges, bukolisches Motiv spielte. Jetzt sang er Goodbye, Blue Sky , eine vergnügte kleine Hymne, die sich in den ersten Wochen der Reise einer großen Beliebtheit erfreut hatte. Das Publikum liebte es, wie er sich wiegte und Hüften und Schultern wie ein Bauchtänzer schüttelte.
    »Schmalzig«, sagte Tabea.
    Dorcas Mandebra zeigte mit dem Finger auf das verwaiste
Headset von Tabea. »Setz dein Headset auf«, formte sie mit den Lippen.
    Tabea setzte es auf. Augenblicklich war er vor ihr, sah auf sie hinab, als wären sie nur zwei, drei Meter voneinander entfernt. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß. Unter den feuchten braunen Augen und von den Mundwinkeln abwärts hatte er tiefe Falten bekommen. Das Martyrium auf der Venus hatte ihn altern lassen, das Leid hatte dem edel geschnittenen Gesicht nicht gutgetan.
    Tabea setzte das Headset ab, setzte es wieder auf. Jetzt führte er ein Medley zum Thema »Fliegen wie ein Vogel« auf, glitt über die Bühne, als ob ihn der Handschuh durch die Luft zöge. Die Bewegungen waren nicht schlecht; waren jetzt sogar besser, weil er abgenommen hatte.
    Es war eine Schande. Eine wahre Schande, dass er ein solches Miststück war.
    Ein großer grüner Papagei erschien. Das Tier umkreiste ihn, es flog unmöglich langsam. Das Publikum klatschte.
    Käpt’n Jute setzte sich auf, ihr war komisch zumute. Talo war ein Alien und Marcos Partner. Aber Talo war damals zu einem Fettfleck am Boden ihres eigenen Cockpits verbrutzelt. Sie stieß das Visier nach oben und suchte Blickkontakt mit Sarah.
    Sarah hatte sich das Headset von Zoe stibitzt. Sie schien nicht beunruhigt. Tabea schlappte ihr Visier wieder runter.
    Der Papagei saß auf Marcos Schulter, schmiegte sich an seine Wange, possierlich wie eine Comicfigur. Der Vogel war eine originalgetreue Kopie, eine Meisterleistung. Tabea konnte jede einzelne Feder sehen. Das Ding war ein Hologramm, ein Lichtgebilde.
    Marco tat so, als streichle er ihn, und schaukelte von einer Seite auf die andere, wobei sie ein Duett sangen, er und der illusorische
Vogel, in makellosem Einklang, ein Duett über Herzen und Vogelschwingen. Man konnte das kleine Dingsbums in Marcos Mundwinkel sehen, das sich um die zweite Tonspur kümmerte.
    Bei der letzten Strophe verließ der Papagei Marcos Schulter und flog noch einmal um seinen Meister herum. Als er wieder vorbeikam, fasste er mit dem Geisterschnabel nach Marcos rechtem Ärmelaufschlag und flatterte damit auf die Schulter von vorhin zurück - dabei rutschte der Ärmel hoch und entblößte den Arm aus Neopren und Wolframstahl: Die mit Juwelen besetzten Gelenklager blitzten im Scheinwerferlicht.
    Die Leute hatten das mechanische Wunder schon Dutzende Male gesehen; trotzdem klatschten sie wieder. Tabea schwirrte der Kopf. Der Vogel war also ein Hologramm. Wenn er aber physisch nicht präsent war...
    »Vielen herzlichen Dank, meine Damen und Herren«, sagte Marco eben. »Wie finden Sie meine neuen Spielzeuge?« Er ließ Fuß und Hand mit unmenschlicher Geschwindigkeit wirbeln, den Fuß rechts-, die Hand linksherum. »Gut, was?«, rief er. »Wissen Sie, was das gekostet hat?«
    Wie aus einem Mund riefen die Getreuen: »Einen Arm und ein Bein!«
    Käpt’n Jute hörte die Mädels lachen und Kenny kichern.
    Sie legte den Kopf zurück. Die vergrößerten Oberlichter des Merkur-Palasts drohten sie in das farblose Nichts der metakosmischen Leere zu saugen. Unten hämmerte die vielspurige Musik, unbarmherzig, dramatisch, totalitär. Tabea sehnte sich nach einem altmodischen Klavier, einem klagenden Horn. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass andere Gestalten die Bühne betraten und sich zu einer Nummer mit größerer Ausstattung versammelten.

    Sie konnte jetzt gehen. Alle würden sich noch lange den Mund darüber zerreißen; aber sie konnte jetzt einfach aufstehen und....
    »Das ist der Sketch«, sagte Karen an ihrem

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