Sonnenwanderer
ein Lichtsignal.
Mit dem kleinen Finger der rechten Hand öffnete der Alte die Verbindung. »Hallo?« Seine Stimme klang energisch, aber geistesabwesend.
»Hallo, Onkel Charlie«, sagte jemand Junges, Menschliches und Männliches.
Ein glückseliges Lächeln klaffte unter dem grauen Schnauzbart.
»Grant!«, krächzte der Alte. »Wie geht es dir, mein Junge?«
»Wie allen, die etwas zustande bringen«, sagte der Anrufer selbstbewusst. »Man muss nur die losen Enden finden.«
Der Alte lachte: eine schaurige Darbietung, falls jemand zugeschaut hätte. Als stürbe er den Erstickungstod.
»Du weißt, dass wir nach Proxima Centauri fliegen, Onkel Charlie?«, fragte der Anrufer.
Onkel Charlie hielt das wohl für eine Art Scherz. »Hi-hi-hi!«, quietschte er ziemlich kräftig. »Ma-hann, du bist noch mal mein To-hod …«
»Sag so was nicht, Onkel«, sagte der Anrufer artig.
Der Alte blinzelte. »Du brauchst immer noch deinen Stoff, Grant?«, fragte er, ein albernes Lächeln im Reptiliengesicht. »Du rufst doch nicht an, um mir zu sagen, dass du keinen mehr brauchst?«
Der unsichtbare Anrufer machte diese kleinen Geräusche nachsichtigen Missfallens zwischen Zungenspitze und Gaumen, woraufhin Onkel Charlie lachte, bis der Lungenmonitor visuellen Alarm schlug. »Ich denke darüber nach, deine Situation zu rationalisieren, Onkel Charlie«, sagte der Mann, den Onkel Charlie Grant nannte. »So wie die Dinge liegen, können wir heute viel mehr für dich tun.«
Das Gesagte bedurfte keiner weiteren Erklärung. Die beiden Männer kannten sich offenbar von alters her, und da sagten Nuancen mehr als tausend Worte.
Nach dem Gespräch brauchte der Alte mehrere Minuten, bis ihm auffiel, dass er die Flasche immer noch in der tauben Hand hielt. Er schraubte langsam und mühselig die Kappe los und zog die Glaspipette heraus. Den Kopf in den Nacken legend, hob er die Pipette vorsichtig und ohne abzusetzen hoch. Die Servos winselten, als sich der Stuhl anpasste.
Mit peinlicher Konzentration ließ der Alte erst einen Tropfen der farblosen Flüssigkeit in das linke Auge, dann einen in das rechte Auge fallen. Er machte beide Augen fest zu und zog die Luft durch die zusammengebissenen Zähne.
Wieder winselten kleine Motoren, als die verchromte Manschette sich auf einem Magnetkissen von der Armlehne löste und ihm mit dem Rücken seiner linken Hand langsam über die Augen fuhr.
»Guter Stoff«, murmelte der Alte bei sich.
Es war eine rituelle Reaktion, automatisch wie das Tischgebet eines Geistlichen nach dem Essen, verstärkt durch abertausend
Wiederholungen. Hätte man ihn gefragt, Grants Onkel Charlie hätte sich vermutlich nicht mehr an das Gespräch erinnert.
Um die Fische anzulocken, rubbelte der Alte mit der Fingerspitze über das Glas des Aquariums. »Piep, piep«, nuschelte er.
Die Fische schwammen träge hin und her. Vielleicht nahmen sie ihn gar nicht wahr. Vielleicht war er wie Gott, anwesend und allmächtig in diesem Zimmer, aber für Fische unsichtbar. »Die Hand, die euch füttert«, mümmelte er.
Der Alte setzte die Kappe mit der Pipette wieder auf die Flasche und drückte noch einmal mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger den kleinen Gummibalg zusammen.
Der Stuhl schnurrte, als er ihn nach vorne kippte.
Der Alte hatte die Linke wieder fixiert und langte mit der aktiven Rechten vor und hob die Pipette über das Aquarium.
Ein Tropfen der farblosen Flüssigkeit platschte lautlos ins Wasser.
Erst passierte gar nichts. Dann begann der rote Fisch hin und her zu schnellen. Er hörte nicht auf damit. Er schnellte immer schneller hin und her. Er schien in Not zu sein. Der blaue kam angeschwommen und schwamm um ihn herum. In immer engeren Kreisen. Dann gingen sie aufeinander los. Mit den Mäulern. Jeder riss an den Flossen des anderen.
Der Alte lächelte verzückt. Seine Rechte schwankte unstet, als wolle er einem unsichtbaren Zeugen die Fische vorführen. Seine Lippen bewegten sich, aber zu hören war nichts.
Der Kampf im Aquarium tobte, Scharlachrot und Eisvogelblau schnellten über- und umeinander und hintereinander her wie Fetzen von Chinaseide in klarem Wasser. In den schweren Duft des Räucherwerks mischte sich ein stechender Gestank.
Schließlich sank der rote Fisch erschöpft zu Boden, bäumte
sich noch ein paarmal müde auf. Wie transparente Ranken einer roten Kletterpflanze stiegen von den zerfetzten Flossen feine Schlieren von Blut empor. Der blaue Fisch stolperte weiter durchs Aquarium, wie blind.
Der
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