Sonnenwanderer
Menschlich daran waren nur Ohren und Nase. Der Anblick hätte ihm den Magen herumgedreht, wenn er noch einen gehabt hätte.
»Ah, hübsches Baby!«, sang Onkel Charlie ganz leise.
Gepeinigt von der höhnischen Stimme aus dem Nichts, drehte sich Kathleen Beaufort hierhin und dorthin. Sie zerquetschte den Kopf einer großen Chrysantheme und riss Blütenblatt für Blütenblatt in kleine Fetzen.
»Erinnern Sie sich? Onkel Charlie?«, plapperte der neue Leiter des Sanatoriums. »Hier geht demnächst die Post ab.«
Kathleen Beaufort stand schnaubend auf, streifte sich die
Blütenblätter von den Händen. Der Irrwisch klammerte wie ein Parasit, während seine Herrin mit ihrem verkrüppelten Fuß herumtorkelte und sich bei jeder Ecke ihres illusionären Gewächshauses beklagte.
Onkel Charlie lachte. Seine Stimme wurde höher und spröder. »Hübsche Blumen. Brauchen Sie vielleicht Wasser für Ihre hübschen Blumen?«
Seine welke, zitternde Hand drückte den Knopf für die Sprinkleranlage von Suite No. 4 und setzte dort Blumen, Möbel, Patientin und alles unter Wasser. Er lachte stockend und schrill und schaukelte in seinem Rollstuhl vor und zurück. »Schöne Dusche, Kathy!«
Die verstörte Veteranin machte keine Anstalten, in Deckung zu gehen. Sie stand da, schnappte nach Luft und blinzelte, schnaufte und spuckte. Wie eine Vakuumverpackung klebte das Nachthemd um ihren ausgemergelten Körper.
»Alles in Ordnung, Kath?«, rief Onkel Charlie direkt ins Mikro. »Brauchst du noch mehr Wasser?«
Kathleen Beaufort pflückte sich den Irrwisch von der Brust und nahm den Arm zurück. Der kleine Cyborg hing noch einen Moment lang in ihrer Hand, kringelte und streckte sich und ließ seine Klauen schnappen, dann flog er in hohem Bogen zur Kamera. Er kam nahe heran, nahm ein gut Teil des Bildschirms in Anspruch, man konnte die kleinen Augen sehen. Er scharrte am Objektiv.
Onkel Charlie lachte, bis seine orale Klempnerarbeit schäumte. Er lachte, bis es sich anhörte, als würde er ernsthaften Schaden nehmen.
Grant Nichtsweiter sah den Alten von der Seite an, ein winziges Zucken um den Mundwinkel verriet Ekel. Mit einem Fingerschnippen zeigte er auf die Bestandsliste von Medikamenten.
»Jetzt brauche ich dich, um nach meinen Arzneien zu suchen«, sagte er.
Onkel Charlie riss sich von dem Monitor los, auf dem die Kampfpilotin büschelweise Blumen ausriss. Blöde grinsend sah er zu Grant Nichtsweiter auf. »Ejah-ejah«, machte er wie ein Esel.
Abgesehen von Monsieur Gules und den weißen Apparaturen des Lebenserhaltungssystems war Suite No. 3 leer. In seinem Koma brauchte Leroi Gules keine Blumen, keine Hausbar und auch keine schützende Kraftfeldblase. Er lag wie gewöhnlich flach auf dem Rücken, die Arme parallel zum Körper, die Augen geschlossen, das Gesicht rosarot und unterhalb der Krone aus farbigen Leitungen allem Anschein nach gesund. Er wirkte nicht älter als fünfunddreißig. Rings um sein Bett und darüber tickten und surrten die Apparaturen leise vor sich hin.
Monsieur Gules atmete. Er atmete ein und aus, ein und aus. Er atmete hundertmal ein und hundertmal aus, tief und regelmäßig; und die zittrige Nadel eines Manometers atmete gleichsam mit. Dann passierte etwas, das noch nie zuvor passiert war, nicht im Orbit und auch seither nicht. Monsieur Gules atmete ein; und hörte auf zu atmen. Aber nur einen Moment lang, als sei ihm etwas eingefallen; als müsse er sich im internen Labyrinth seines Traums für rechts oder links entscheiden. Die Nadel des Manometers blieb in der Schwebe. Monsieur Gules’ Augen zuckten unter den Lidern. Dann atmete er aus, tief und regelmäßig wie zuvor. Die Manometernadel fiel zurück; und alles war wieder normal.
Fast alles.
Auf dem Stuhl in der Ecke, wo eine Schwester hätte sitzen können, wenn sie den anderen Schwestern nicht geholfen hätte, den Leichnam ihrer ehemaligen Arbeitgeberin in Decken zu
wickeln; oder wo ebenso gut ein Besucher hätte sitzen können, obwohl Monsieur Gules noch nie Besuch gehabt hatte, - auf diesem Stuhl stand jetzt eine weiße Teetasse mit Untertasse.
Es schien sich um eine ganz gewöhnliche Tasse mit Untertasse zu handeln, sogar mit Teeflecken und ein, zwei Krümeln auf der Untertasse. Die Tasse und die Untertasse hätten kaum normaler aussehen können, obwohl sie vor einem Augenblick noch nicht dagestanden hatten und das Ende einer Goldkette aus der Tasse hing, als befinde sich am anderen Ende ein ungewöhnlich großes und teures
Weitere Kostenlose Bücher