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Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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Keil der Nase, da ähnelte Consuela Oriflamme einer seltsamen pinkroten Kreuzung aus Vogel und Schmetterling, die noch nicht flügge war, aber kräftig daran arbeitete.
    »Frankie«, schluchzte sie. »Warum bist du gegangen, Frankie?« Sie knirschte mit den Zähnen. Tränen rollten die schmalen Wangen herunter. »Ich finde dich, Frankie.«
    »Ich glaube nicht, meine Liebe«, sagte Grant Nichtsweiter und tippte eine eladeldische Kontrollpriorität ein, die alle Hauptleitungen aufbohrte und sie mit Onkel Charlies persönlichen Frequenzen verband.
    Onkel Charlie war es schon leid, Frau Oriflamme zuzusehen, wie sie mit ihren Armen herummachte. »He, ich möchte Kathleen sehen«, sagte er.
    Grant Nichtsweiter deutete eine Verbeugung an. »Dein Wunsch ist mir Befehl.«
    »Oh, Mist, verdammter«, sagte der Alte weinerlich. »Du pustest mir den Schädel weg, hab ich recht?«
    Grant Nichtsweiter begutachtete sein Spiegelbild in einem abgeschalteten Bildschirm. »Möglich«, sagte er. »Kommt drauf an.«
     
    Die riesige, widerspenstige Leiche von Dr. Irsk war zu groß für die Entsorgungsanlage, und da man sie nicht angewiesen hatte, sie zu zergliedern, wickelten die Schwestern sie entgegen Onkel Charlies Befehl in Decken und deponierten sie gleich hinter dem Kavernentor. Die erste Schwester sah die beiden anderen an. »Jemand wird sie aufsammeln«, sagte sie.
    Die zweite Schwester besah sich das formlose Bündel. Sie kramte in ihrem Gedächtnis. »Sie hat irgendwo Verwandte.«

    »Irgendwo an Bord«, sagte die dritte Schwester. Sie starrte in die Finsternis des Tunnels, als hoffe sie, eine vespanische Trauergesellschaft zu sehen, die sich bereits die Schaukelpferdstraße hochkämpfte.
    Die erste Schwester zog die Augenbrauen hoch. Ihre Lippen setzten zu einem »Wo« an, weil sie fragen wollte, wo diese Verwandten von Dr. Irsk wohl sein mochten; doch der Wille verließ sie, und so blieb es bei dem Ansatz. Höchstwahrscheinlich hätten sie mit der Antwort nichts anfangen können, denn die Loyalitätsschaltung der Implantate hätte sie gehindert, sich jemals von der Kaverne zu entfernen.
    Sie blickten ein letztes Mal auf den in Decken gehüllten Hügel, dann drehten sie sich um und kehrten mit mechanischen Schritten ins Krankenhaus und zu ihren täglichen Pflichten zurück.
     
    Der Bildschirm im Kontrollraum strotzte vor Sonnenblumen; sie sahen so gescheit, so verwegen, so putzmunter aus, wie sie sonst nur einem gut gelaunten Cartoonisten gelangen. Die Kamera blickte in ein Delta zwischen den Blumen, in dem die ehemalige Kampfpilotin auf ihrem weißen schmiedeeisernen Gartenstuhl saß. Ihre Haltung wirkte steif, sie saß von der Hüfte ab vorgelehnt, die Knie zu einer Seite gedreht. Eine Hand langte nach unten, als wolle sie etwas vom Boden aufheben; aber da war nichts; die Augen unter dem grauen Afrolook blickten ohnehin ins Leere.
    Hauptfrau Kathleen Beaufort trug ein Nachthemd vom Krankenhaus und darüber ein braunes ärmelloses Strickjäckchen, eine Art Bolero. Aus dem Jäckchen liefen in alle Richtungen lange Fäden, die mit der Kapuzinerkresse und den Stockrosen verwoben waren. Wie eine überdimensionale Wespe summte Hauptfrau Beauforts Irrwisch schläfrig hin und her, das Ende
eines Wollfadens in den Klauen; bei genauerem Hinsehen umkreiste er unaufhörlich seine Herrin, als versuche er, sie wieder zusammenzuflicken, die losen Enden ihrer Persönlichkeit wieder einzuknüpfen. Angefangen hatte dieser Auflösungsprozess an dem Tag, da sie hatte zusehen müssen, wie ein frasquischer Soldat auf ihrem Bombenschützen herumgekaut hatte.
    »He, Mann, kann ich mit ihr reden?«, sagte Onkel Charlie; und Grant Nichtsweiter zeigte ihm, wie.
    »Guten Morgen, Hauptfrau Beaufort«, sagte Onkel Charlie. »Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht krumm, dass ich Sie an so einem herrlichen Tag belästige. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass Dr. Irsk uns verlassen hat.« Er redete mit verstellter Stimme, hoch, eintönig und voller vorgetäuschter Besorgnis. »Ich trage jetzt die ganze Verantwortung. Ist das nicht schön?«
    Hauptfrau Beaufort knurrte in die Kamera. Die Narbe machte aus ihrem Gesicht ein falsch zusammengesetztes Puzzle. Wie einen grauen Ballon holte sie den Irrwisch an seinem Wollfaden ein. Der Irrwisch summte und spuckte, kuschelte und sträubte sich an der Brust der Veteranin. Ein wirklich scheußliches Ding, dachte Onkel Charlie, als sie es in den Armen hielt und schaukelte: eher eine riesige graue Garnele als eine Wespe.

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