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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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rief: »Heinz, komm mal! Sie sind da-a.«
    Heinz kam und begrüßte Tom mit wohlwollender Skepsis. Während sie die Jacken aufhängten, sagte Tom: »Ihre Nachbarin und ihren Sohn habe ich auch schon kennengelernt.«
    Roswita: »Ach ja.«
    »Ja, wir haben sie unten auf der Straße getroffen.«
    »Tja … schön, dass wir Sie endlich kennenlernen.«
    »Ich habe ihm einen Stein geschenkt. Er war begeistert.«
    »Ach ja …«
    Sie kratzte sich nervös am Unterarm.
    »Ich meine Kevin. Das ist doch der Sohn Ihrer Nachbarin?«
    »Hm? O ja, sicher. Der arme Kevin … Sie werden ja gesehen haben, dass er ein … schlimmes Kind ist. Aber kommt doch, ich habe Kuchen gebacken.«
    »Schlimmes Kind?« Den Ausdruck hatte Tom noch nie gehört. Helen stand in der Tür und bedeutete ihm, um des lieben Friedens willen endlich still zu sein und mit dem Kevin-Thema aufzuhören! Tom dachte, das müsste ein guter Wahlspruch sein, um ihn in die Haustür fräsen zu |38| lassen: »Um des lieben Friedens willen!« Am Abend, als sie nebeneinander im Gästebett lagen und Helen seine Annäherungsversuche mit dem Hinweis darauf abwehrte, dass sie sich schließlich im Hause ihrer Eltern befänden, obwohl Tom das unbestimmte Gefühl hatte, dass sie ihn eher für sein mangelndes Feingefühl am Nachmittag strafen wollte, fragte er: »Wird bei euch eigentlich nie über etwas geredet?«
    »Aber wir reden doch.«
    »Ich meine, über Probleme.«
    »Was denn für Probleme?«
    »Du weißt, was ich meine. Dinge, die man aussprechen müsste – so wie Kevin zum Beispiel.«
    »Fängst du schon wieder damit an!«
    Mit diesen Worten drehte sie sich auf die Seite, das Gespräch war beendet.
     
    Roswita rief regelmäßig an. Wenn Helen nicht da war, redete sie mit Tom. Es interessierte sie nicht wirklich, wer am anderen Ende war. Kurz nach dem Kevin-Besuch erzählte sie ihm, dass Veronika sie gefragt habe, wie es ihrer Tochter mit ihrem neuen Freund gehe.
    »Rosarot, Frau Schulz. Ro-sa-rot.«
    Roswita hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Helen und Tom lebten auf einer Wolke. Wenn Helen zur Arbeit ging, legte sich Tom einen straffen Tagesplan zurecht, um nicht ständig an sie zu denken, und wenn er mal später nach Hause kam als sie, war sie schon an der Tür, bevor er aufschließen konnte. Dann stand sie in seidener Unterwäsche im Flur und sagte: »Na endlich.«
    Oft wachte Tom mitten in der Nacht auf, nachdem sie ermattet eingeschlafen waren, weil Helen zärtlich seinen Schwanz streichelte, der schon wieder ganz hart war. Dann legte sie ihren |39| Ich-bin-ein-unartiges-Mädchen-Blick auf: »Ich hab’ da was gefunden.«
    »Ach ja?«
    »Ja. Schau her! Komisches Ding. Wozu das wohl gut ist?«

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    |40| Elsa
    Jedes Jahr Anfang Juli fand die große UdK-Party statt: Für eine Nacht wurde das Hauptgebäude der Universität der Künste kampflos Berlins Studentengemeinde übergeben, und unter seinem Dach und in seinem Innenhof fand sich alles ein, was sich den Rest des Jahres auf die Clubs der Stadt verteilte. Für das Party-Event des Jahres hätte Wladimir ohne Zögern seinen Urlaub umgebucht. Bei der richtigen Dosierung von Alkohol und Drogen konnte man wie auf einer weichen Welle durch die Nacht gleiten, und wenn so ein Abend dann noch die richtige Wendung nahm, ließ man sich zum Ausklang langsam in einem breiten Strom aus Lichtern und Geräuschen davontreiben.
    Diesmal war der Strom schneller als beabsichtigt geflossen: Mit jedem Wodka Red Bull war Sonja Wladimir nähergekommen, und, o mein Gott, war er geil; wenn sie sich an ihn lehnte, fühlte sie sich so wunderbar jung an – und er sich auch. Die Musik im Innenhof vermischte sich mit den Gesprächen der Umstehenden zu einem betörenden Klangteppich, und die bunten Lichter der Tanzfläche malten milchige Farben auf die Fassaden und Reste alter Mauern. Der verschwommene Duft zahlloser Parfums kreuzte sich mit dem Geruch von Alkohol und gebratenem Fleisch; Wladimir inhalierte ihn wie ein Aphrodisiakum.
    Stunden rauschten an ihnen vorbei, und Sonja war ganz und gar nicht das hochnäsige Stöckelschühchen, das man ihr nachsagte – jedenfalls nicht in dieser Nacht. Da war sie aufgeschlossen und zutraulich, und eine Unterhaltung musste nicht unbedingt einen Gewinner und einen Verlierer hervorbringen.
    |41| Wladimir wusste nicht mehr, wann sie der Party den Rücken gekehrt hatten, aber er erinnerte sich noch an ein Taxi und an ihren sehnsuchtsvollen Blick und wie sie sich auf der Rückbank geküsst hatten,

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