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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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vor Jahren ausgewandert waren, um in der Einsamkeit australischer Weiten drei bis sechs Kinder großzuziehen, aber die Namen dazu? Vergiss es! Was für ein Elend. Irgend etwas machte er immer falsch. Was Wladimir brauchte, war eine Frau, die sich gerne von ihm vögeln ließ, ohne es persönlich zu nehmen. Nur: Wo gab es so etwas?

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    |44| Ada
    Ada kaufte Gemüse nur auf dem Markt ein, unter freiem Himmel. Sie ließ sich nicht mit anderen in einen Raum sperren. Letzte Woche hatte eine Frau vor ihr gestanden und minutenlang eine Honigmelone betastet. Von allen Seiten hatte sie daran herumgedrückt und sie beschnüffelt wie ein Hund. Es war widerlich gewesen. Die meisten Menschen hatten einfach kein Gefühl für solche Dinge. Ada brauchte eine Avocado nur in die Hand zu nehmen, und schon flüsterte sie ihr zu, ob sie reif war.
    Wenn Ada keine Kopfschmerzen hatte, trank sie gerne Kaffee. Eigentlich mochte sie den Geruch lieber als den Kaffee selbst. Manchmal trank sie ihn gar nicht. Ihn aufzugießen war das eigentliche Erlebnis.
    Den Filteraufsatz hatte sie beim Trödler gekauft. Er hatte mit einem Haufen achtlos zusammengewürfelter Küchenutensilien in einem Karton auf der Straße gelegen. Sonst kaufte sie nichts beim Trödler, die Sachen dort waren alle so unsauber. Sie konnte sich gar nicht mehr erinnern, wie sie sich hatte überwinden können, mit dem schmutzigen Ding in den Souterrain-Laden hinabzusteigen. Sieben Stufen. Ein zotteliger Mensch, der dort hauste wie in einer Höhle.
    »’n Heiermann«, hatte er gesagt. Wahrscheinlich hatte er gedacht, sie würde handeln, aber so etwas machte sie nicht. Ein Ding kostete, was es kostete. Als sie ihr Portemonnaie aus der Handtasche zog, sagte er: »Drei tun’s auch.«
    Dabei hatte sie gar nichts gesagt. Er hielt ihr seine grobe Hand hin, aber sie legte das Geld schnell auf den Tisch und stieg die Stufen wieder hinauf – ihn berühren wollte sie nicht.
    |45| Sie mochte den Aufsatz, weil er aus Keramik war und viel schwerer, als es den Anschein machte. Am Rand war ein Stück abgeplatzt, da war er ganz rau. Wenn sie über die Stelle strich, fühlte es sich wie eine Narbe an. Zu Hause hatte sie den ganzen Vormittag daran herumgescheuert, bis sie sicher gewesen war, dass nichts von seinem vorherigen Leben mehr an ihm klebte. Außer seiner Geschichte, aber die wurde man ja nie los.
    Da war sie am liebsten, zu Hause. Hier kam ihr niemand zu nah. Hier – und in ihren Büchern. Bücher waren etwas Wundervolles. Sie liebte Bücher, ihre Geschichten. Die waren immer da. Sie konnte in ihnen versinken und wurde doch nie von ihnen bedrängt. Wenn ihr jemand zu nahe kam, das war schrecklich. Bücher lesen war, wie das Leben von anderen zu leben, voller Sehnsüchte und Gefahren, und ihr passierten die unglaublichsten, die wundervollsten und schrecklichsten Dinge, ohne dass ihr eigenes Leben davon berührt wurde. Fernsehen mochte sie nicht. Sie hatte ihn weggegeben, letztes Jahr, an die einsame alte Frau im Hinterhaus, nachdem sie gemerkt hatte, dass doch nur jeden Tag dasselbe lief.
    ***
    Es war einer von diesen leeren Tagen, an denen die Migräne Adas Kopf auseinanderzog. Leer, weil der Schmerz so gewaltig war, dass er für etwas anderes keinen Platz ließ. Dann lag sie im Bett auf dem Rücken und konnte nichts tun, nicht mal lesen. Manchmal kam eine Welle, die so stark war, dass Ada nicht einmal denken oder sprechen konnte. Dann bohrte sie ihren Blick in die Decke und versuchte, gleichmäßig zu atmen.
    Ein.
    Aus.
    Ein.
    Aus.
    |46| Ein.
    Aus.
    An solchen Tagen hätte ein Mann in ihre Wohnung eindringen und ihr ein Messer an die Kehle setzen können, und sie hätte es nicht einmal fertiggebracht, ihre Hand zu heben. Nichts. Sie konnte nichts tun. Nur warten. Warten, dass der Schmerz nachließ und sie sich wenigstens auf die Seite drehen und an etwas Schönes denken konnte. Sie fragte sich, ob so Sterben war – ohnmächtig – und ob sie einmal so sterben würde. Ihre Kolleginnen im Krankenhaus dachten, sie sei eine Mimose; schlimmer, eine Simulantin. »Migräne. Wenn ich mich jedesmal krank schreiben lassen würde, bloß weil ich Kopfschmerzen habe …«
    Dann kamen auch noch die mit ihren Kisten. Ausgerechnet an diesem Tag musste über ihr ein neuer Mieter einziehen. Als wäre es noch nicht schlimm genug, dass ihre Migräne sie an so einem schönen Junitag ins Bett zwang. Den ganzen Tag lang trampelten sie von innen gegen ihre Schädeldecke, das Treppenhaus stöhnte unter

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