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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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der Last. Als sie fertig waren, bog sich die Zimmerdecke durch von all den Sachen, Ada bekam Beklemmungen davon. Es war ein Junggeselle, ein alleinstehender Mann. Wie konnte es da einen ganzen Tag dauern, seinen Hausstand durch das Treppenhaus zu tragen? Eine fünfköpfige Familie konnte nicht mehr brauchen. Als Ada den Lastwagen wegfahren hörte, war ihr Kopf wie perforiert. Die Fußtritte, die den ganzen Tag das Haus erfüllt hatten, erstarben zusammen mit den Männerstimmen in der Dämmerung – endlich.
    Dann geschah etwas Seltsames: Sie hörte Musik. Klaviermusik, die durch die Wände drang. Ein Flüstern von allen Seiten gleichzeitig. Es war sanfte Musik. Introvertiert, soweit das auf Musik zutreffen konnte. Und sie war schön. Wunderschön. Manchmal lief sie zäh wie Honig die Wände herab, dann wieder waren es exotische blaue Falter, die unter der Decke tanzten.
    |47| Ada wusste nicht, was sie davon halten sollte, es war, als würde sie … in Besitz genommen werden. Sie wehrte sich, obwohl es eigentlich keinen Grund gab; es waren angenehme Empfindungen.
    Das musste der neue Mieter sein, der heute eingezogen war. Würde das jetzt öfter so sein? Oder immer? Dass er kommen und sie gefangennehmen würde mit seiner Musik? Ein bisschen fürchtete sie sich – es war nicht wie mit den Büchern, die sie so gerne las: Die bedrängten sie nicht. Die Musik schon. Aber es war so angenehm. Vielleicht musste sie gar keine Angst haben.

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    |48| Lara
    Wie selbstverständlich ging Tom davon aus, dass der Mensch, den er liebte, auch seine Freunde mögen und von diesen gemocht werden müsse. Doch als er sich daran erinnerte, Freunde und Bekannte gehabt zu haben, und lange vernachlässigte Kontakte wiederbelebte, stellte sich heraus, dass das nicht der Fall war. Die meisten seiner Freunde waren nicht gerade hartnäckig, wenn es die Qualitäten eines Menschen zu erkennen galt. Man versuchte es ein paarmal, aber wenn man nicht warm wurde … Na ja, dann konnte man halt nichts machen. War ja auch nicht so schlimm – für seine Freunde. Für ihn schon.
    Zur Entschuldigung seiner Freunde war zu sagen, dass Helen ihnen keine große Chance gab oder – wie es Tom inzwischen manchmal vorkam – sich bei ihnen keine große Chance gab. Wenn er mit ihr darüber zu sprechen versuchte, war es plötzlich sein Problem: »Sieh sie dir doch bloß mal an, deine Freunde! Die haben allesamt ein massives Frauenproblem. Allen voran dein neuer Busenfreund Wladimir.«
    Es hatte lange gedauert, bis Tom erkannte, dass Helen sich in Gegenwart anderer oft minderwertig und zurückgesetzt fühlte. Menschen, die sie nicht kannte, empfand sie als bedrohlich, und wenn die Gefahr bestand, am Ende nicht gemocht zu werden, zog sie sich lieber gleich zurück; lieber nichts wagen, als möglicherweise zu scheitern.
    Das galt auch für andere Bereiche: Bei ihrem Umzug nach Berlin hatte sie einen DVD-Player mitgebracht, den sie nie anrührte, nicht mal, um eine DVD einzulegen und »Start« zu drücken.
    |49| »Mach du das, ich kann das nicht. Dafür bin ich zu blöd.« Tom war genervt. Er wollte nicht, dass seine Freundin sich für dumm hielt. Er wusste es besser: »Schau mal, du musst doch nur …«
    Doch da war sie schon aus der Tür.
    Schön war es immer dann, wenn es nur sie und ihn gab – und sonst nichts. Im Urlaub zum Beispiel, oder wenn sie samstags aufwachte und sagte: »Am liebsten würde ich jetzt ans Meer fahren«, und sie eine halbe Stunde später im Auto saßen, seine Hand auf ihrem Oberschenkel. Dann ließ sie den ganzen Alltagsmüll hinter sich, und es gab keine unliebsamen Kollegen mehr, keine Geldsorgen, niemanden, auf den sie eifersüchtig sein, nichts, wovor sie sich fürchten musste. Manchmal genügte bereits ein Abend im Kino, mit einem Film, der ihnen beiden aus dem Herzen sprach.
    Problematisch wurde es, sobald der Alltag diesen Mikrokosmos aufbrach und sie mit ihrer Umwelt konfrontierte – also fast immer. Wenn Tom sich mit Freunden verabredete oder etwas ohne Helen unternahm, kam er sich niederträchtig vor, seine Unabhängigkeit war eine Bedrohung für sie. Ihre Freiheiten waren selbstverständlich, seine musste er sich nehmen. Er war überzeugt gewesen, das würde kein Problem für sie sein. Schon vergessen? Sie wollten es anders machen. Wenn die Liebe nur groß genug war, übersprang sie jede Hürde …
     
    Toms Freundin Lara war die einzige Ausnahme. Helen mochte sie so sehr, dass sie einfach nicht anders konnte, als sich ihr

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