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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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mal, das ist doch …«
    Ihr Blick schnitt ihm das Wort ab. Auf der Rückbank saß Paula und blätterte altklug in einer Frauenzeitschrift. Mit dem untrüglichen Instinkt eines Kindes, dem Informationen vorenthalten werden sollen, fragte sie:
» Wer
ist da, Mama?«
    »Niemand, Paula. Tom hat sich getäuscht.«
    »Stimmt das, Tom? Hast du dich getäuscht?«
    Lara sah Tom an, als hätte er die Wahl zwischen lügen oder erschossen werden. Er versuchte sich im Spagat: »Du kennst ihn nicht, Paula.«
    Das war wenigstens nicht gelogen. Später fragte er Lara: »Was erzählst du Paula eigentlich, wenn sie dich nach ihrem Vater fragt?«
    »Das überlege ich mir, wenn sie mich danach fragt.«
    »Sie hat dich noch nie nach ihrem Vater gefragt?«
    »Sie hat gefragt, ob sie auch einen Papa hat, und ich habe ja gesagt.«
    »Und sie wollte nicht wissen, wo er ist?«
    »Doch.«
    »Und was hast du ihr gesagt?«
    »Weg. Ich habe ihr gesagt, er sei weg.«
    »Damit hat sie sich zufriedengegeben?«
    »Bis jetzt, ja.«
     
    |53| Schon bevor Helen und er angefangen hatten, Paula zu babysitten, wollte Tom eigene Kinder. Er hatte die Hoffnung, dass sie einen erkennen ließen, was im Leben wirklich wichtig war. Seit er aber »Onkel Tom« war und Paulas uneingeschränktes Vertrauen genoss, waren seinem Kinderwunsch Flügel gewachsen, und er flatterte ganz aufgeregt in seinem Käfig herum. Eine Zeitlang war Tom richtig neidisch und drängte sich als Kindermädchen geradezu auf; wie Nachbarskinder, die klingeln, um zu fragen, ob sie den Hund ausführen dürfen.
    Zu Beginn ihrer Beziehung hatten sie oft über Kinder gesprochen, hatten sich ausgemalt, wie sie Arm in Arm den Wagen durch den Park schieben würden, und sehnsüchtig nach Frauen geschielt, die sich ein schlafendes Baby auf die Brust gewickelt hatten. Versuchte er heute, das Gespräch darauf zu lenken, wiegelte Helen ab. Sie seien noch nicht so weit … Schlechter Zeitpunkt … Später … Er fragte sich, wann die Zeit gekommen sein würde. Acht Jahre waren sie jetzt zusammen. Wie viele brauchte sie, zwanzig? So, wie es im Moment lief, war es ohnehin müßig, darüber nachzudenken. Ihn zu küssen schien Helen bereits Überwindung zu kosten. Ein Kuss war ein Geschenk, keine Leihgabe.
Ihre
Küsse fühlten sich an, als müsste er sie zurückgeben.
    Sie war eifersüchtig. Früher war das kein Problem. Früher war nichts ein Problem. Seit jedoch Toms Bereitschaft gesunken war, deswegen Konzessionen zu machen, war es eins.
    »Rede mit mir!«
    Das war Toms Standardsatz. Meist hörte er dann: »Ich kann nicht! Kannst du das nicht sehen?«
    Und dann ärgerte Helen sich vierfach: Weil sie Angst hatte, weil Tom der Grund für ihre Angst war, weil sie nicht mit ihm darüber sprechen konnte und weil sie sich dafür verachtete, nicht mit ihm darüber sprechen zu können. Und er war schuld. Logisch.

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    |54| Franziska
    Im täglichen Umgang mit Menschen vermied Wladimir körperliche Nähe. Schon ein Händedruck rang ihm Äußerstes ab. Zur Begrüßung hob er in fünf Metern Entfernung die Hand, um bei drei Metern »hi« zu sagen und stehenzubleiben. Wollte man ihn nicht anschreien, musste man auf ihn zugehen, und hatte Glück, wenn er nicht zurückwich. Ein einziges Mal hatte Tom beobachtet, wie Wladimir seine lesbische Freundin Isa zur Begrüßung auf den Mund geküsst und sich anschließend bemüht hatte, sich nichts anmerken zu lassen.
    Was intimen Körperkontakt betraf, war es noch schwieriger. Über den Cunnilingus, der beispielsweise Paul größten Genuss bereitete, sagte Wladimir, er sei eine »wirklich harte Serviceleistung«. Was nicht heißen sollte, dass er sich nicht gerne einen blasen ließ.
    Wladimir: »Ich sage ja nicht, dass ich es
gar
nicht mache, aber wenn man es einmal macht, ist es mehr als genug.«
    Er sagte nicht Cunnilingus oder, wie Paul, Muschilecken, er sagte »es machen«. Man musste dann halt wissen, was gemeint war. Sein Verlangen nach körperlicher Berührung war also eher im Negativbereich angesiedelt, sein Penetrationstrieb hingegen … oh, oh.
     
    Als Trendhöriger war Wladimir dem Diktat lebenslanger Jugendlichkeit unterworfen. Nachlässigkeiten in Fragen körperlicher Fitness hielt er für eine Charakterschwäche. Sein Körper hätte problemlos jede Titelseite eines Lifestyle-Magazins schmücken können, pro Trainingseinheit gönnte er sich zwischen |55| 700 und 1000 Sit-ups. Natürlich war er Mitglied in einem Fitnessclub. Einem der größeren Sorte. So

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