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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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strahlendstes Lächeln auf.
    »… Desdemona, ich weiß.«
    Nur Tibatong konnte es fertigbringen, seiner Tochter so einen Namen zu geben. Das Lächeln einer Madonna und ach |192| so rote Haare, die perfekte Synthese aus keusch und sinnlich. Sie sah aus, als hätte sie nicht vor, jemals zu altern.
    »Kennen wir uns?«
    »Nein, aber das macht nichts, denn Othello ist auch da. Othello!«
    Sie konnte ihre Verwirrung nicht verbergen. Tom machte ein Gesicht, als sei er ihr Arzt: Vertrauen Sie mir.
    Es tat sich nichts.
    »War ’n Scherz, ich probier’s noch mal. Wladimir!«
    Endlich kam er um die Ecke gewackelt.
    Wladimir: »Ach
du
hast den Beitel, da kann ich ja lange …«
    Es regnete goldenes Konfetti von der Decke, gleich würde er sich die Flex auf den Fuß fallen lassen.
    Tom: »Darf ich vorstellen: Desdemona – das ist Wladimir. Wladimir, du wirst es nicht glauben, das ist die Tochter von Tiba… von Prof. Preuß. Ich glaube, ihr kennt euch bereits.«
    Desdemona lächelte verlegen. Tom konnte hören, wie Wladimirs Adamsapfel zuckte. Der hielt wie immer seine Hand vor die Brust: »… Äh … Hi!«
    Das war nicht die Kühnheit, die Tom sich von Wladimirs Zusammentreffen mit seinem Minne-Ideal erhofft hatte, aber es war ein Anfang. Desdemona hatte nicht erwartet, ihn jemals wiederzusehen, und Wladimir hatte gehofft, ihr nie wieder begegnen zu müssen, aber das hatte er in der Aufregung ganz vergessen, und es machte auch gar nichts, denn bevor sie überhaupt nur seinen Gruß erwiderte, sagte sie: »Ich musste ins Krankenhaus, mein Vater hatte einen Unfall, ich wollte dich anrufen, aber ich hatte deine Handynummer nicht.«
    »Ach so.«
    Dann fiel es ihr doch noch ein: »Was für ein Zufall!«
    Wladimir: »Finde ich auch.«
    Tom: »Ich geh’ mal Kaffee holen. Mit der Schleiferei, das wird heute sowieso nichts mehr.«
    |193| Bevor Wladimir und Desdemona sich überlegen konnten, was sie mit sich und der Situation anfangen sollten, schlüpfte Tom zwischen ihnen hindurch ins Treppenhaus, wo er auf den Stufen staubige Visitenkarten für die Hauswartsdrohne hinterließ.
    Während Tom auf dem Weg zum Bäcker war, berichtete Desdemona, wie ihr Vater neulich, als sie am See gelegen hatten, bei dem Versuch gescheitert war, gleichzeitig dem Verlauf der Sonnenfinsternis und dem des Gehwegs zu folgen. Ein Laternenpfahl hatte seinen Weg gekreuzt, was keinerlei Konsequenzen hätte haben müssen, wäre da nicht der Monitor seines Computers gewesen, den er zum Auto hatte tragen wollen.
    »Ein wahrhaft dunkler Moment«, soll er ausgerufen haben, als ihm der Monitor aus der Hand fiel und drei seiner Zehen nebst einem Vorderfußknochen zerquetschte.
     
    »Zwei Kaffee, weiß mit Zucker?«, fragte die Bäckerin, die ihnen langsam das Du hätte anbieten können, bei den Mengen, die Tom und Wladimir in ihrem Laden schon vernichtet hatten.
    Tom: »Drei, bitte, zum Mitnehmen.«
    Die Bäckerin schaute verwundert. Tom flüsterte: »Hoher Besuch.«
    »Ahh«, sagte sie, als wüsste sie genau, was er meinte.
     
    Tom: »Ist Desdemona schon wieder weg? Ich hab’ Kaffee mitgebracht.«
    »Sie muss nur schnell etwas für ihren Vater abholen, dann kommt sie noch mal zurück und bringt Kuchen mit.«
    »Wie nett von ihr.«
    »Ja, nicht?«
    Wladimir versuchte so zu tun, als sei nichts geschehen, und schraubte ungeschickt eine neue Scheibe auf die Flex. Seine Latzhose aber war mit Gänsedaunen gefüttert.
    |194| Wladimir: »Was grinst du denn so bescheuert?«
    »Ich freue mich.«
    »Idiot.«
    Und weil Wladimir angefangen hätte, auf den Fingernägeln zu kauen, wenn er noch eine Minute länger so hätte rumstehen müssen, sagte er: »Ich flex’ nur eben den Rand im Arbeitszimmer fertig.«
    »Ist gut. Ich halte solange den Kaffee warm.«
    »Schleif lieber die letzte Reihe im Schlafzimmer.«
    »Dann hören wir nachher Desdemona nicht, und sie muss den Kuchen gaaanz alleine essen, und ihr seht euch nie, nie, niiiemals wieder.«
    »Beruhig dich, ich hab’ ihr den Schlüssel gegeben.«
    »Na gut.«
    Hoffentlich hatte Tibatong ein großes Bett. Vier mal fünf Meter wären gut. Das Parkett würde später wie ein Zebra aussehen, so oft, wie Tom den Feinschliff jetzt schon unterbrochen hatte. Wenn nicht auch noch ein Tiger dazukam, den man erst sehen würde, wenn alles versiegelt war. Tibatong würde in seinem Schlafzimmer von wilden Tieren umgeben sein. Tom nahm sich vor, den Rest so präzise wie möglich zu schleifen.
    Das Ergebnis versöhnte ihn einigermaßen,

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