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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Nussbaumkonferenztisch und sprachen ernst mit leisen Stimmen. Tom nippte unterdessen an einer Cola und blickte durch die Panoramaverglasung ihres Penthousebüros. Er kam sich vor, als hätte er etwas ausgefressen. Es wurde einige Male telefoniert, und drei Stunden später hatte Tom eine hübsche kleine Anderthalb-Zimmer-Wohnung am Planufer mit Blick auf den Landwehrkanal. Als er ging, legte Konrad ihm den Arm um die Schulter und sagte betont ernst: »Frauen können manchmal sehr grausam sein.«
    Tom musste lachen. Konrad versuchte nicht,
ihn
zu trösten, sondern
sich
.
    »Kopf hoch«, sagte Tom, »das wird schon wieder.«
     
    Alleine in der neuen Wohnung, sackte Tom völlig zusammen. Dass er es geschafft hatte, Tibatongs Zimmerlabyrinth alleine fertig zu renovieren, erschien ihm rückblickend als unvorstellbarer Kraftakt. Bei der Arbeit war er stets von dem Gefühl begleitet gewesen, eine Schuld abzutragen. So richtig hat er das auch später nie verstanden.
    Er war ständig müde. Die Luft zum Atmen schien er durch einen schmalen Strohhalm ziehen zu müssen – über Wochen. Manchmal glaubte er, wie ein alter Mann mit Buckel zu gehen. Abends saß er stundenlang vor dem Fenster, nachts kotzte er seine Seele in die Kloschüssel. Hinter seinem |202| Rücken wartete die frischbezogene Matratze wie ein Nagelbrett. Oft schreckte er auf und fand sich in seinem Stuhl sitzend. Er ernährte sich von Bier, Cola und Zigaretten. Den Aschenbecher auszuleeren kostete ihn bereits Überwindung. Wenn er an Helen dachte, war er der einsamste Mensch der Welt. Und er dachte immer an sie. Zum ersten Mal in seinem Leben wollte er nicht er selbst sein. Dankbar hätte er mit jedem getauscht, der zu einer Gleichgültigkeit des Herzens fähig war, statt sich nach Liebe sehnen zu müssen.
    Es gab ein paar Tage, an denen er so tief fiel, dass seine Finger den Grund berührten. Das Schlimmste daran war, morgens aufzuwachen: Dann sah er auf dem Wecker, dass es erst fünf Uhr dreißig war, und konnte nicht glauben, dass er den Tag überstehen sollte. Und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Angst um sich.
    Irgendwann würde es wieder aufwärtsgehen, das wusste er. Aber darauf zu warten war wie zu tauchen, wenn einem die Luft ausging. Man strampelte um sein Leben und versuchte durchzuhalten, bis man endlich die Oberfläche erreicht hatte. Und während man nichts weiter tun konnte, als zu hoffen, dass die Luft reichte, schlug das Herz immer panischer. Tom wusste, dass er die Oberfläche erreichen würde, aber das wusste man unter Wasser auch und konnte die Panik doch nicht unterdrücken.
    Er schrieb Helen einen Brief, den er niemals abschickte, weil er nie fertig wurde. Der Anfang ging so:
     
    Es ist nicht alles schlecht. Ich bin frei. Nur weiß ich nicht, wann dieses Gefühl endlich aufblüht und ob es ersetzen können wird, was es verdrängen soll. Ich habe Angst, nie wieder einem Menschen zu begegnen, dem ich mich so werde öffnen können. Diese Vertrautheit ist unersetzbar. Ein wundervoller Tag ist zu Ende
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gegangen, und nun sitze ich da, und es wird und wird nicht wieder hell, und langsam frage ich mich, ob die Sonne noch einmal aufgeht.
     
    Es dauerte lange, bis er dahinterkam, dass er nicht so sehr den Verlust Helens betrauerte, sondern die glücklichen Momente, die sie miteinander erlebt hatten. Den Unterschied zu erkennen war nicht leicht, und oft half es auch nicht viel.

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    |204| Ada
    Was sollte sie nur tun? Wie sollte sie aus der Wohnung kommen? Was, wenn sie ihm im Treppenhaus begegnete? Unmöglich. Das durfte nicht sein. Neulich erst hatte sie ihn in ihre Wohnung gelassen! In vier Stunden fing ihre Arbeit an, irgendwie musste sie bis dahin hier rauskommen. Sie konnte sich ja nicht schon wieder krank melden. Was sollte sie denn sagen? Dass sie nicht kommen konnte, weil sie Angst hatte, ihrem Nachbarn zu begegnen? Die würden sie doch für einen pathologischen Fall halten. Und dann? Was, wenn sie zurückkam und er plötzlich vor ihrer Tür stand? Was, wenn er klingelte? Sollte sie ihm aufmachen, ihn am Ende wieder reinlassen? Nein, auf keinen Fall. Er hatte ja auch noch nie geklingelt, außer als er ihr das Handtuch zurückbrachte. Nicht panisch werden. Ich bin nicht verrückt, noch lange nicht. Die anderen waren es, die sich morgens nach dem Aufstehen gegenseitig in der U-Bahn ihre genässten Achselhöhlen ins Gesicht drückten und das normal fanden. O Mist, sie musste sich übergeben, schon wieder.
    Mittags war er

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