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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Wladimir solche Drohungen gelassen auf.
    Beim nächsten Mal klopfte es an der Wohnungstür, hammerschlagartig. Eine Riefe mehr – das arme Parkett. Als Tom öffnete, brüllte ihn die inzwischen vertraute Jogginghose an. Mit der Zeit verlor sie ihren Schrecken. Ihren Mann hatte sie diesmal nicht mitgebracht, der wollte nicht vom Fernseher weg. Die Polizei auch nicht.
    Bevor sie das zweite Mal Luft holen konnte, durchkreuzte |186| Tom ihr Konzept: »Ihr Beinkleid ist so unauffällig wie eine Tarantel auf einer Sachertorte, Gnädigste.«
    Sie war wild entschlossen, die Einwürfe dieses verrückten Handwerkers zu ignorieren. Der hatte sie ja nicht alle.
    »Ich habe mit der Hausverwaltung gesprochen, Sie müssen das hier saubermachen!«
    Sie fuhr mit dem Zeigefinger den Türrahmen entlang und hielt ihn Tom unter die Nase.
    »Hier, sehen Sie! Ich kann nicht jeden Tag den Hausflur saubermachen, ich habe Schmerzen im Knie!«
    Hehe, wundert mich gar nicht.
    »Hehe, wundert mich gar nicht.«
    »Was?«
    »Sie haben es nicht geschafft, mich zu ignorieren.«
    »Sie reden dummes Zeug.«
    Glaubst du.
    Tom ließ die Tür extra sanft ins Schloss schnappen. Wladimir stand hinter ihm und schüttelte ungläubig den Kopf: »Vielleicht sollte ich das heute lieber übernehmen. Beim nächsten Mal schießt sie dir sonst mit einer Schrotflinte die Eier weg.«
    »Kommt nicht in Frage!«
    »Was ist denn heute mit dir los? Hast du zum Frühstück schlechte Drogen genommen?«
    »Nein, zum Abendessen. Ich hab’ gestern meine Sachen gepackt und bin vorübergehend zu Paul gezogen. Wahrscheinlich drehe ich gerade durch, und mir springen die Sicherungen raus.«
    »Musste ja so kommen.«
    »Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«
    »Doch. Glückwunsch. Wenn ich die Wahl hätte zwischen Paul und Helen, würde ich auch Paul nehmen.«

[ Menü ]
    |187| Ada
    Ada hatte sich ein Messer gekauft, ein schweres, ganz aus Metall – auch der Griff. Es war überall abgerundet, nirgends gab es eine Stelle, an der sich Schmutz festsetzen konnte. Wenn sie es länger in der Hand hielt, wurde es ganz warm. Es hatte genau die richtige Größe. Nicht so lang wie ein Brot- oder Fleischmesser, aber auch nicht so kurz wie diese viel zu leichten Dinger, mit denen sie ihre Äpfel schälte. Der Verkäufer hatte ihr versichert, dass ein schärferes nicht zu bekommen sei. Es hatte einen Extraplatz bekommen, neben dem Besteckkasten. Dort lag es auf einem Stück blauem Samt, das Ada extra gekauft hatte. Dieses Messer würde sie nur für sich selbst benutzen, den Rest der Zeit würde es dort liegen und warten.
    Eigentlich war
das
das erste Mal – mit dem neuen Messer. »Global« stand darauf, das gefiel Ada. Sie fühlte sich groß dadurch. Das ganze Wochenende hatte sie gespannt auf den geeigneten Moment gewartet, jetzt war es so weit. Die Musik war auch wieder da. Wladimirs Musik. Traurig heute, wie zum Abschied. Es passte alles zusammen.
    Sie zog sich frische Sachen an, entzündete eine Kerze, setzte sich an den Küchentisch und legte das Messer zwischen ihre Hände. Wie ein Ritual. Der Gedanke gefiel ihr; Rituale waren etwas Bedeutendes. Sie überlegte, wo sie schneiden sollte. Es war das letzte Mal. Das letzte Mal, dass keine Narbe auf ihrem Arm zu sehen sein würde. Wie jemand, der einen Berg bestieg und auf dem Gipfel seine Fahne aufstellte. Unbeflecktes Land.
    Als sie das Messer ansetzte und über ihren Arm führte, war |188| sie so benommen, dass sie sich zunächst gar nicht rühren konnte. Sie legte es an die Stelle zwischen ihren Händen zurück und beobachtete, wie sich unter ihrem Arm eine Pfütze bildete. Der Tisch stand nicht gerade, das Blut lief langsam auf sie zu. Mit der freien Hand versuchte sie, es aufzuhalten, aber es war aussichtslos, und so ließ sie es auf den Boden laufen, wo es sich um ihre Zehen schlang.
    Um den Boden nicht schmutzig zu machen, ging sie auf Fersen ins Bad und wusch sich im Waschbecken das Blut von den Füßen. Verbandszeug gab es immer noch nicht, sie hatte vergessen, welches mitzubringen. Aber Wladimir war ja da. Er würde ihr helfen, sie verstehen. Sie nahm ihren Schlüssel und zog leise die Tür ins Schloss.
    Wladimirs Wohnungstür öffnete sich, bevor sie klingeln konnte. Ein Mann erschien, der müde aussah und abgekämpft. Ada war sich nicht sicher, aber vielleicht war es der, der ihr schon einmal auf der Treppe begegnet war. Er trug Sportsachen und roch verschwitzt, seine Haare waren verklebt. Von hinten hörte sie Wladimirs

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