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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wütend – Klaus’ Anwesenheit nervte ihn einfach, das war alles. Natürlich schlug er ihn |210| nicht nieder. Er hatte noch nie jemandem mit der Faust ins Gesicht geschlagen – aber er war auch noch nie so kurz davor gewesen.
    Tom: »Ich hole meine Sachen ab, wenn du nichts dagegen hast.«
    »Oh … Hallo. Äh … Nee, natürlich nicht. Aber
ich
weiß nicht, was hier noch von dir ist.«
    »Keine Sorge,
ich
weiß es.«
    »Ja, klar. Du bist also Tom. Also, ich bin …«
    »… Ist mir egal, wer du bist.«
    Es war das einzige Mal, dass Tom ihm begegnete.
     
    Am meisten hatte Tom gequält, dass Helen und Klaus jetzt in
ihrem
Bett schliefen und Helen plötzlich in Klaus’ Armen träumte, während Tom die Regentropfen an seinem Küchenfenster zählte. Die ganze Nacht. Jede Nacht. Dass
er
jetzt mit ihr schlief und ein Teil dieser eigenartigen Entrückung in ihrem Gesicht war, wenn sie kam, und dass
er
es war, der in
ihr
kam.
    Doch inzwischen war es nicht mehr schlimm, wenn Tom sich Helen und Klaus in ihrem Bett vorstellte. Es war einfach nicht mehr
ihr
Bett.
    Im Geiste nannte Tom ihn Captain Blaubart, ohne speziellen Grund. Wenn er Helen fragte, wie es lief, klang sie, als sei sie mit ihm auch nicht richtig glücklich. Vielleicht schämte sie sich auch, weil es ihr mit ihm besser ging und Tom sich deswegen nicht schlecht fühlen sollte. Lara hatte sie erzählt, Klaus wünsche sich ein Kind von ihr. Aber sie wollte nicht, noch nicht. Wahrscheinlich wollte sie sicher sein, dass ihr bei einer Schwangerschaft so etwas wie mit Tom nicht noch einmal passierte. Paul meinte ja, dass Helen nur deshalb kein Kind von Klaus wollte, weil sie sich insgeheim eins von Tom wünschte. Tom sagte nichts dazu; von ihrer Abtreibung wusste Paul nichts.

[ Menü ]
    |211| Wash Up
    Seit der Trennung von Helen waren drei Monate vergangen, und manchmal dachte Tom mit einem wehmütigen Lächeln an diesen ungewöhnlichen Sommer zurück. Durch den Weichzeichner, der sich über seine Vergangenheit legte, schimmerten die Monate mit Wladimir in einem romantischen Licht. Er mochte die Freiheit, die sie hatten, und das Gefühl, ständig unterwegs zu sein. Er mochte die meisten Menschen, denen sie begegnet waren, sogar Tibatong, und er mochte die Vorstellung, dass die Narben des Tages, an dem Wladimir und Desdemona zueinandergekommen waren, im Parkett seines Schlafzimmers sichtbar geblieben waren.
    Inzwischen hatte Toms Leben eine beruhigende Gleichförmigkeit angenommen. Wie jeden Samstagabend saß er im Wash Up und spielte Klavier. Um Viertel nach elf machte er Pause und ging an die Bar. In einer Woche war Weihnachten. Tom würde das machen, was er immer gemacht hatte: Am vierundzwanzigsten fuhr er zu seiner Mutter, am fünfundzwanzigsten zu seinem Vater. Helen würde bei ihren Eltern sein und ihnen von ihrem neuen Freund erzählen, und Wladimir würde Desdemonas Verwandtschaft kennenlernen. Es war kurios: Er hatte keinen Vater und keine Mutter mehr, aber trotzdem mehr Familie als jemals zuvor.
    Ulla lächelte und stellte Tom einen Espresso und ein Glas Wasser auf die Theke. Eigentlich trank er abends keinen Kaffee, aber als er wieder angefangen hatte zu spielen, war er durch die Anspannung und Nervosität so müde gewesen, dass er in den Pausen um einen Espresso gebeten hatte. Am dritten |212| Abend war er von selbst gekommen. Inzwischen hätte er darauf verzichten können, aber eine lieb gemeinte Gewohnheit zerstört, wenn er auf etwas anderes umgestiegen wäre.
    »Ich wusste gar nicht, dass du Klavier spielst«, hörte er plötzlich eine Stimme neben sich.
    Wenn Tom unerwartet auf einen Menschen aus früheren Tagen traf, erschrak er immer ein bisschen. Er musste an Lara denken: Was verpasste Chancen anging, war sie der Ansicht, man begegne sich im Leben immer ein zweites Mal, und wenn nicht, dann sollte es eben nicht sein. Für Lara, dachte Tom, war das Leben meistens ziemlich einfach.
    Tom: »Johanna! Wie geht’s dir?«
    Nach ihrer Liebesnacht hatte Tom vier Wochen lang ihre Telefonnummer gut versteckt in seinem Portemonnaie herumgetragen, war aber von seinem Gewissen in Schach gehalten worden und hatte es nicht gewagt, sie tatsächlich anzurufen. Dann kam der Desastertag am See, und auf dem Weg nach Hause hatte er den Zettel, aus Angst, der Meerjungfrau künftig nicht widerstehen zu können, weggeworfen.
    Johanna: »Gut. Und dir?«
    »Danke.«
    »Du weißt meinen Namen noch?«
    »Natürlich.«
    Tom konnte keinen Begleiter entdecken, also fragte

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