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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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er: »Was machst du hier?«
    »Eine Freundin besuchen. Hi, Ulla.«
    Sie beugten sich umständlich über die Theke und küssten sich.
    Ulla: »Ihr kennt euch?«
    »Gute Frage«, sagte Johanna und lachte. »Kennen wir uns?«
    Tom: »Ich weiß auch nicht.«
    Ulla: »Na, dann ist ja alles klar. Was trinkst du?«
    »Mai Thai«, antwortete Johanna nach kurzem Zögern.
    |213| Sie setzte sich neben Tom auf einen Hocker und wartete auf ihren Cocktail. In der Zwischenzeit sagte keiner etwas, als würden sie erst etwas zu trinken brauchen, um miteinander reden zu können.
    Johanna: »Was machst du so?«
    »Du siehst es ja – ich sitze in Bars und spiele Klavier.«
    »Und wenn du nicht in Bars sitzt und Klavier spielst?«
    »Dann sitze ich zu Hause und spiele Klavier.«
    »Klingt aufregend.«
    »Der totale Wahnsinn. Wie Achterbahn fahren, den ganzen Tag.«
    Ihr Lachen beeindruckte ihn immer noch.
    »Was sagt denn deine Freundin dazu?«
    »Meine Freundin ist inzwischen die Freundin eines anderen.«
    »Oh, tut mir leid.«
    »Nicht nötig. Ist, glaube ich, ganz gut so.«
    »Und? Hast du dich schon wieder neu verliebt?«
    »Ich dachte, ich versuche es mal ohne. Sich zu verlieben ist wie einen Looping zu drehen: Bevor es überhaupt richtig losgeht, hast du die Nadel schon am Anschlag, dann wirbelt es dich völlig durcheinander, zwischendrin stehst du Kopf, und am Schluss bist du da, wo du angefangen hast, nur dass nichts mehr so ist wie vorher. Eine aufregende Sache, aber keiner braucht es wirklich. Und noch was stört mich: Du kannst zwischendrin nicht aussteigen.«
    Sie dachte darüber nach, ihr Strohhalm drehte im Glas kleine Runden.
    »Und du meinst, du hältst das durch?«
    »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht. Wir ändern uns nicht sehr, wenn wir älter werden. Unsere Gefühle, meine ich. Liebe, Freude, Schmerz, Eifersucht … Alles dasselbe. Nur die Illusionen werden weniger.«
    »Aber?«
    |214| »Ich gebe mein Bestes.«
    »Das Beste geben reicht oft nicht.«
    Wer wusste das besser als Tom? Er nahm sein Wasser und stand auf: »Ich gehe mal und mache weiter.«
     
    Wladimir stand unerwartet in der Tür. Tom hatte ihn seit zwei Monaten nicht mehr gesehen. Wenn das so weiterginge, kämen als Nächstes Helen und Captain Blaubart und danach Sandra, um zu fragen, wie es seiner Leiste ginge. Dann noch Elsa, und gemeinsam könnten sie »O du fröhliche« singen, für gemischten Chor mit Klavierbegleitung.
    Tom spielte »The Girl from Ipanema« in Super-Soft-Version. Auf das Notwendigste reduziert, gefiel es ihm am besten. Vielleicht spielte er es deshalb im Moment so gerne: Auf das Notwendigste reduziert, gefiel ihm inzwischen auch das Leben am besten. Wladimir stellte sich zu ihm an den Flügel.
    Wladimir: »Du hast dich rar gemacht. Wie geht’s?«
    »Ganz gut, glaube ich. Mein Leben ist einfacher geworden. Ich habe mein Auto verkauft, meinen Fernseher und meinen Computer. Das Rauchen habe ich auch aufgegeben – war mir zu anstrengend –, und in sechs Monaten läuft mein Handyvertrag aus. Es gibt nicht mehr viele Dinge, über die ich mir Gedanken machen muss.«
    »Wie steht’s mit fließend Wasser und Strom?«
    »Werd’ ich behalten.«
    Wladimir, nach einer Weile: »Wie geht’s Helen? Habt ihr noch Kontakt?«
    »Manchmal ruft sie an und erklärt mir, dass sie nie aufgehört hat, mich zu lieben.«
    »Und was sagst du dann?«
    »Ich sage ihr, dass ich auch nie aufgehört habe, sie zu lieben, aber sie trotzdem nicht zurückwill.«
    »Und? Stimmt das?«
    |215| Tom zog die Schultern hoch.
    »Was ist mit ihrem neuen Freund, diesem Arzt?«
    »Keine Ahnung. Ich habe mir abgewöhnt, nachzufragen. Es interessiert mich nicht mehr. Er ist bei ihr eingezogen. Sie bemühen sich, glaube ich, aber die große Liebe ist es bei ihm wohl auch nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, sie hat ihn nie wirklich gewollt.«
    »Weshalb sind sie dann zusammengezogen?«
    »Was weiß ich? Niemand ist gerne allein.«
    Wladimir stand da, in Gedanken versunken. Ein ungewöhnlicher Anblick; sonst war er nie so nachdenklich.
    Wladimir: »Wie lange willst du das machen?«
    »Was meinst du?«
    »Na, in Bars rumhocken und klimpern?«
    »Musik ist eine schöne Sache. Ich kann davon leben, und es ist niemand da, der mir sagt, was ich zu tun oder zu lassen habe. Es gibt welche, die damit alt werden.«
    »Kommt mir bekannt vor.«
    »Tja, so weit ist es gekommen … Und, was machst du so?«
    »Ich schreib’ meine Diplomarbeit.«
    »Du machst was?«
    »Ich schreib’

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