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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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das Bild verändert hätte – homosexuelle Beziehungen und Selbstmordpakt. Schließlich versuchte ich, den Irrsinn der vergangenen Nacht wiederzugeben, und erzählte – verkrampft und kalt an Leib und Seele – von Wilbys ultimativer Drohung gegen Lydia und Anne. Meine eigene Verwirrung, Ratlosigkeit und alle Schlußfolgerungen überließ ich Henrys Phantasie.
    Als ich geendet hatte und Henry schwieg – er hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt –, fühlte ich, wie der unerträgliche Druck etwas von mir wich, als hätte bereits diese Aussprache eine gewisse Läuterung bewirkt.
    Endlich ergriff er das Wort: »Iß erst mal etwas.« Und als ich den Becher und das Hörnchen anstarrte: »Wann hast du das letzte Mal etwas zu dir genommen?«
    Es war eine einfache Frage – aber ich wußte keine Antwort. Doch dann überfiel mich der Hunger, als hätte es nur Henrys Worte bedurft. Ich empfand knurrende Leere, Schwäche und Gier, verschlang das Hörnchen, trank den Kaffee, genoß jeden Tropfen und Krümel und war noch lange nicht gesättigt.
    »Fragen?« erkundigte sich Henry sanft.
    Ich nickte.
    Er stand auf, durchmaß das Büro mit langen Schritten und führte mich behutsam mit zielsicheren Fragen Punkt um Punkt noch einmal durch die Ereignisse und klärte so den Zeitablauf der Begebenheiten. Besonders eingehend behandelte er die komplexe Beziehung zwischen Jenny und Wilby. Glaubte ich, daß sie Geschwister waren? Ich neigte dazu, war jedoch nicht sicher. Und Jennys Alter? Hatte ich mich strafbar gemacht? Ich wußte es nicht. Hatte es sich zweifellos um Rauschgifte gehandelt? Ja. Und wie stand es mit den dreitausend Dollar? Hatte ich sie bar bezahlt, und besaß wenigstens die Bank meinen Barscheck, um meine Behauptungen zu beweisen? Ja.
    Und als ihm dann die Zusammenhänge klar schienen, blieb er stehen und sagte: »Birchard ist nicht sein Name. Das Mädchen hat gelogen. Wir verschwenden da nur unsere Zeit.«
    Natürlich. Offensichtlich. Nach all den anderen Lügen war ich auf diese hereingefallen. So viel Vergeudung von Kraft und Zeit –
    »Du hast recht«, antwortete ich. »Aber wahrscheinlich habe ich mich eben an jeden Strohhalm geklammert –«
    Er stand hochaufgerichtet und breitbeinig da, die Hand am Kinn. Dann strich er sich über das Gesicht und den haarlosen, kantigen Schädel. »Hör zu. Ich mache dir keinen Vorwurf. Niemand kann das. Aber du bist ein verdammter Narr. Alles allein durchstehen zu wollen! Du armer, verdammter, geschlagener Idiot.«
    Mitleid! Wilby konnte es nicht ausstehen. Und brauchte es doch. Henry hatte recht: Ich war vor Selbstmitleid zerflossen. Aber sein Mitgefühl wirkte wie ein Wundpflaster. Irgend etwas in mir schien, wenigstens für den Augenblick, wieder geheilt. Und ich empfand Dankbarkeit.
    Nach einem Zögern fuhr er fort: »Adam, ich kenne dich seit fünfundzwanzig Jahren, und mir wäre nie der Gedanke gekommen, dich so etwas zu fragen.« Er trat näher. »Aber da du selbst davon gesprochen hast, wollen wir damit anfangen. Du unterstellt mir etwas, was gar nicht in meiner Absicht lag. Wahrscheinlich aus einem gewissen Schuldkomplex wegen des Mädchens. Du hast dich in der letzten Zeit von einer Menge solcher Unterstellungen leiten lassen. Stimmt's? Und du gehst weiter von solchen Unterstellungen aus – die Welt ist gegen dich, deine Freunde intrigieren hinter deinem Rücken, der Portier will dich erpressen, deine Sekretärin verpetzt dich bei deinem Partner –, wenn du mit diesen Unterstellungen weitermachst und deine Handlungen darauf ruhen läßt, dann, mein Freund, kommt es nicht darauf an, ob du dich aus dieser Klemme befreien kannst. Denn wenn es dir gelingt, falls es dir gelingt, bist du nicht mehr der alte. Dann bleibt von dir nur noch die äußere Schale übrig, oder Schlimmeres. Lydia wird nach Hause kommen und dich nicht mehr wiedererkennen.«
    Lydia. Lydia und Henry. Die Dumpfheit überkam mich wieder. Er dachte natürlich an Lydia.
    »Begreifst du, was ich meine, Adam?«
    Durchaus. Und ich las zwischen den Zeilen. Doch die Angst verdrängte das Mißtrauen: Dachte er, mir sei der Abgrund, das klaffende Nichts nicht bewußt?
    Unvermittelt knurrte er: »Weißt du was? Wir gehen zusammen hin und brechen dem kleinen Scheißkerl jeden Knochen im Leib. Jetzt sofort!«
    Ich schwieg. Aber ich verstand diesen Impuls, diese vernunftwidrige Wildheit. Und ich mußte abwarten, bis Henry wieder vernünftig wurde, obgleich seine Empörung natürlich und gut war.

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