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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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Kopfschmerzen nehme ich meinen Weg wieder auf.
    Ich spaziere an einer bekannten Kirche vorüber: hohe Stufen, die zu offenen Bogentüren hinaufführen. Ich kann mir das kühle Innere, die einladende, ruhige Dämmerung vorstellen. Aber ich habe nicht das leiseste Bedürfnis, einzutreten. Hineinzugehen wäre so, als ob man in einer Bar Hilfe sucht. Lediglich eine Ausflucht. Wie diese Momente erleuchteten Wahnsinns, wenn der Geist auf dem Rückzug vor dem Chaos das Chaos umarmt. Wie … ja, Vater, wie jener kahle Baum im Wald.
    Ich drehe mich nicht nach der Kirche um, empfinde weder Verlust noch Kummer. Und ich verabscheue mich nicht ob meiner Fragen. Nicht Staub und Asche, weil ich die Rätsel des Universums nicht lösen kann. Statt dessen packt mich ein durchdringendes, stilles Staunen ob des letzten Geheimnisses, ohne Furcht. Als hätte eine Hand seit meiner Geburt mein Herz umklammert und lockere nun den Griff. Niemals zuvor hatte ich die Bedeutung des religiösen Wunders erahnt, weil ich vom ersten Tag an mit Mythen und Volksmärchen abgespeist worden war. Doch nun, von der Ehrfurcht befreit, erfasse ich die merkwürdige Exaltiertheit und frage mich, ob dieses Gefühl an sich in kleinem Maßstab die Erfüllung meiner – jedes Menschen? – Verpflichtung gegenüber dem evolutionären Prozeß darstelle. Den Punkt überschritten zu haben, bis zu dem man das Absolute und die endgültige Klarheit verlangt, bedeutete, sich ohne Verzweiflung dem letzten Mysterium hinzugeben. Mit Hoffnung also? Nicht der Hoffnung, die durch das ewige Leben nach dem Tod symbolisiert wird. Ich entsinne mich, auf das tote, maskenhafte Gesicht meines Vaters hinabgestarrt und gehört zu haben, daß er sich das Leben genommen hatte, während mir seine Worte, trauriger Versuch eines 'Trostes, in den Ohren hallten. Denke daran, Adam, die Bibel sagt, daß wir uns über den Tod freuen und die Geburt betrauern sollen. Damals war ich instinktiv davor zurückgewichen. Doch nun, mit einer wissenden Heiterkeit, erkannte ich die wahre Bedeutung dieser Worte: eine Blasphemie, gleichgültig, wer sie geäußert hatte oder wo sie geschrieben stand.
    Betrachten wir einmal diese wenigen Quadratkilometer von Steinen, zum Meer abfallend und in den Himmel ragend, diese vom Menschen der Wildnis und Unbedeutendheit abgerungene Insel. Seinen ständig erweiterten Konzepten folgend – auf mathematischen und wissenschaftlichen und strikt humanitären Berechnungen basierend, die das Vorstellungsvermögen selbst der eigenen Großeltern bei weitem überstiegen –, hatte er hier Städte innerhalb der Städte errichtet, nicht wahr? Ebenso, wie er zum Hüter des Bruders geworden war, nicht nur innerhalb des eigenen Dorfes oder Staates, sondern auf der ganzen Welt; eine Ausweitung der Moral, wie sie vor hundert Jahren noch nicht vorstellbar war. Er selbst hatte diese Ordnung geschaffen, die oft den ärgerlichen Anschein des Chaos erweckte. Ist er aber wirklich Herr über sein Geschick?
    Nein, Vater, nein – das ist er nicht. Er kann weder die Abkühlung der Sonne noch den möglichen Zusammenstoß zweier Gestirne voraussehen oder gar abwenden – ebensowenig wie ich über die Umstände meiner Geburt oder die Länge meines Lebens oder die mögliche Verseuchung meines Körpers durch verheerende Krankheitskeime bestimmen kann. Aber er ist der Kapitän seines Schiffs. Wie ich – endlich, Vater – das Ruder meines Schiffs in die Hand genommen habe. Auf die. Wucht eines Taifuns kann ich nicht einwirken, aber ich kann die Schotten dicht machen, die Segel zurren und den Mast sichern. Ja, Vater, ich bin der Herr meiner Seele, und das verdanke ich keinen wirklichen oder eingebildeten Göttern. Wenn das Anmaßung ist, Vater, dann ist Anmaßung keine Sünde, trotz Hiob. Jetzt ist die Zeit der Anmaßung. Die Zeit, in der der Mensch noch Mensch sein konnte, ist vorbei.
    Ich bog um eine Ecke. Vor mir in großen Lettern der Name meines Restaurants. Mechanisch schaute ich auf die Uhr: nur zwei Minuten zu spät. Doch dies waren vielleicht die wichtigsten zwei Minuten meines Lebens.
    Mittagessen mit einem Arzt. Der Name war mir entfallen. Henry wollte mir einen Weg zeigen, wie ich wenigstens einen Teil des Geldes wiedererlangen könnte, das ich verlor? Ich hatte kaum das Empfinden eines Verlusts. Die Ersparnisse eines ganzen Lebens – unwesentlich in Anbetracht meiner endlich gewonnenen Einsichten.
    Ich verlangsamte meine Schritte. Wie konnte ich so ruhig und gelassen und

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