Sonntag bis Mittwoch
Aber ich konnte meinen Blick nicht von Annes Zügen reißen, die schlaff eingesunken und bleich geworden waren. Nur in ihren Augen stand noch Leben: glitzernde Überraschung und Abscheu, der an Intensität zunahm.
»Das … das ist mein Neglige«, sagte Anne schließlich mit völlig fremder Stimme in einem ungläubigen Flüstern. Sie trat die Stufe in das Wohnzimmer hinunter. »Das … gehört Ihnen nicht.« Sie sprach wie ein begriffsstutziges Kind.
»Dann sind Sie also Anne. Sie ist hübsch, Adam. Wie deine Frau Gemahlin. Adam-Baby hat mir alles von Ihnen erzählt. Und von – wie war der komische Name? – Glenn. Und dem niedlichen Häuschen auf dem Land. Mit Doppelbetten. Da hat Adam es mir erzählt. Gestern nacht. Im Bett.«
Anne stieß einen erstickten Schrei aus und hielt zitternd beide Hände abwehrend vor das Gesicht. Dann starrte sie mich über die Verwüstung hinweg an.
Ich mußte mit ansehen, wie glühender Haß in ihren Blick trat, intensiv, brennend und endgültig. Und unvermittelt war es nicht mehr Annes Gesicht, sondern Lydias.
Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir in diesem Moment, ich wäre tot, ich könnte auf der Stelle sterben.
»Anne«, begann ich, bahnte mir einen Weg durch das Chaos zu ihr. »Anne, komm, gehen wir. Ich muß mit dir reden –«
Als ich jedoch vor ihr stand, wich sie zurück, ein Zurückzucken auch in den weit aufgerissenen, schreckensstarren Augen, die nichts Vertrautes mehr hatten.
Ich streckte die Hand aus. »Anne, Liebling, wenn wir irgendwo in Ruhe –«
Aber als meine Hand ihren kalten, nackten Arm berührte, lief ein Schauder über ihren Körper; sie trat hastig, mit dem Absatz die Stufe ertastend, zurück, und in ihrem Gesicht stand Verzweiflung. Ich ließ die Hand sinken.
»Sie sieht sogar deiner Gnädigen ähnlich«, sagte Jenny von oben.
Anne war in die Diele zurückgewichen. Sie riß den Blick von mir los und schaute mir über die Schulter – nicht zur Treppe hin, sondern auf Lydias Porträt.
Plötzlich schrie sie auf, so unerwartet und schrill, daß mir war, als bohre sich ein kaltes Messer direkt in mein Herz.
Dann wich sie noch weiter zurück, mit verzerrtem Gesicht, das sich in häßliche Falten legte und alt und traurig und wissend und bitter wurde, sammelte unbeholfen die Pakete ein, wobei ihr eines herunterfiel. Sie ließ es liegen, rüttelte an der Tür, von Schluchzen geschüttelt; dann sprang die Tür auf, und sie stolperte rücklings hinaus.
Ich folgte ihr zur offenen Tür, sah, wie sie fortrannte, unter dem Ausgang-Schild im Treppenhaus verschwand, hörte das Klappern ihrer Absätze, ehe die Glastür schwerfällig in die Ruhelage zurückpendelte. Dann wirbelte ich herum, eilte durch die Diele, die Stufe hinab und die Treppen hinauf zur Galerie. Ohne einen klaren Gedanken, ohne einen festen Plan.
Jenny ließ mich an sich herankommen, Übermut und Schadenfreude im Gesicht. Mehr scherzend als provozierend. Entzückt.
Als ich vor ihr stand, neigte sie den Kopf zur Seite. »Willst du's mir nicht vom Leib reißen? Letzte Gelegenheit.«
Da erst wurde mir bewußt, warum ich heraufgerannt war. Ich holte aus.
Meine Handfläche erwischte sie mit einer Wucht, die schmerzlich in meiner Hand explodierte und bis in die Schulter hochstrahlte, und das Klatschen von Fleisch gegen Fleisch erfüllte mich mit grausamer Lust und Genugtuung. Sie wurde beiseite geschleudert, auf die Treppe zu, und in ihren Augen las ich Wut und Entsetzen. Verzweifelt griff sie nach dem Geländer, erwischte es mit einer Hand, glitt ab und torkelte kopfüber die Treppe hinunter, bis sie wie ein Häufchen Elend am Fuß der Treppe liegenblieb.
Was hatte ich hier noch verloren? Ich konnte mir Anne vorstellen, wie sie blindlings durch das marmorne Foyer rannte, an Geoffrey vorbei und auf die Straße hinaus, nun in Tränen aufgelöst.
Was hatte ich hier zu schaffen, wenn Anne mich brauchte?
Ich ging die Stufen hinab.
Jenny wimmerte und stöhnte.
Ich schritt um sie herum.
War sie wirklich verletzt?
Ich stand bereits an der Tür, als ich hinter mir einen Aufschrei vernahm. »Wilby?« Ein klagender Hilferuf. »Wilby!«
Ich warf die Wohnungstür hinter mir ins Schloß.
Auf dem Weg die sechs Stockwerke hinab erkannte ich, was ich getan hatte: einem atavistischen, unvernünftigen Impuls nachgegeben und Anne dabei fortlaufen lassen.
»Mr. Wyatt –«
Schon wieder Geoffrey. Er folgte mir auf den Bürgersteig.
»… noch miteinander reden, Sir –«
»Wo ist
Weitere Kostenlose Bücher