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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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drehte ich mich um und griff mit der rechten Hand in die Tasche mit der Waffe.
    Es war jedoch nicht Wilby. Es dauerte eine Weile, bis mich der Schrecken packte.
    Es war Anne.
    »Oh, Tag, Daddy. Du hast nicht aufgemacht, und darum habe ich meinen alten Schlüssel benutzt. Gottlob hatte ich ihn dabei. Ich dachte, ich könnte vielleicht ein wenig –«
    Sie brach ab, als ihr Blick über mich hinweg in das Zimmer fiel. »– aufräumen und saubermachen, wollte ich sagen.«
    Sie stand auf der Stufe zur Diele: fassungslos, einige Pakete im Arm, in einem Sommerkleid, ohne Hut. Mit zugeschnürter Kehle konnte ich nur zusehen, wobei mich wieder das lähmende Gefühl des unausweichlichen Alptraums umfing. Nun war es geschehen.
    »Nötig wäre es, was?« hörte ich mich sagen, und mein Lachen dröhnte mir hohl in den Ohren. »Ich werde mich wohl nie an das Junggesellenleben gewöhnen, Anne.«
    Sie inspizierte nicht mehr das Zimmer. Ihre Päckchen deponierte sie auf dem Telephontischchen und kam auf mich zu. Sie starrte mich aus ihren offenen, blauen Augen an, die nun verblüfft und besorgt blickten. »Das sieht wie nach einer Party aus! Und was für einer Party!«
    »Was für einer Party«, wiederholte ich, und dann verhaspelten sich meine Worte. »Möchtest du etwas trinken, Anne? Einen schönen, steifen Drink, damit du mich einholst?« Ich ging zur Bar, nicht torkelnd, sondern mit jener unnatürlichen Steifheit, die Betrunkenen eigen ist, bahnte ich mir einen Weg durch die Kerzenstummel, Tassen, Gläser und Aschenbecher. »Nur, um Himmels willen« – was sollte die Komödie? Was wollte ich damit erreichen? –, »sag deiner Mutter nicht, daß ich so viel getrunken habe. Du hast es erraten, Anne. Dein Vater war auf einer Sauftour. Vier Tage. Wodka?«
    »Oh, Daddy, wie furchtbar! Ich wußte, daß etwas –« Sie trat stirnrunzelnd und teilnahmsvoll auf mich zu. »Was kann ich tun? Was –«
    »Was du tun kannst. Anne«, sagte ich – wobei meine Stimme sehr überzeugend betrunken klang –, »ist weggehen. Ich möchte meine Ruhe haben. Damit ich meinen Rausch ausschlafen kann.« Dann zwang ich mich zu einer gewissen Härte: »Ich will weder dich noch sonst wen sehen. Ich hab' einen sitzen, und das gefällt mir sehr gut, und da kannst du überhaupt nichts dagegen machen!«
    Es war für sie ein Schlag ins Gesicht. Wie von mir beabsichtigt. Aber bei dem schmerzlichen Ausdruck in ihren Augen wurde ich schwach, wußte, daß ich meine Rolle nicht weiterspielen konnte.
    »Bitte, Anne«, flüsterte ich, »bitte, wenn du mir helfen willst, dann geh heim.«
    »Aber … du siehst so –«
    Alt, Anne? über Nacht gealtert? Oh. Mr. Wyatt, ich habe Sie nicht gleich erkannt.
    »Ich kann dich hier nicht brauchen, Anne.«
    Sie nickte benommen, wandte sich ab, stolperte einmal.
    »Wenn … ganz, wie du willst, Daddy.« Sie ging in die Diele, und ich erkannte an ihrer steifen Haltung, wie verletzt, fassungslos und verwirrt sie war. Sie bückte sich, um ihre Pakete aufzuheben.
    »Wann kommst du wieder herauf, Adam, mein Liebling?«
    Anne erstarrte. Ein Wutanfall schüttelte mich – hilflose Wut. Und ich hatte den deutlichen Eindruck, in einer anderen Zeit schon einmal so dagestanden zu haben, Anne vor mir, im Hintergrund Jennys beleidigte Stimme, alles schon einmal so gesehen zu haben und wie behext nur das Ende in der Szene abwarten zu können.
    »Komm, Liebling. Du schaffst es noch einmal.«
    Anne drehte sich und und schaute zur leeren Galerie hinauf.
    »Wie oft noch heute, Sam? Du machst das spielend. So oft wie gestern nacht?«
    Sogar der Impuls – wild und mörderisch: nach oben zu rasen und ihr den Mund zu stopfen, ein für allemal – schien mir vertraut. Aber ich stand wie angewurzelt.
    »Adam-Baby, was treibst du denn da unten?«
    Ich hörte, wie die Tür aufging. Ich schaute in Annes Gesicht und vermeinte in ihren großen, erschreckten Augen fast Jennys Bild zu erkennen.
    »Ach, Liebling, warum hast du mir nicht gesagt, daß wir Besuch haben?«
    Anne verlor die Fassung. Ihre Unterlippe hing herab und bebte.
    Das war das Ende. Es war ohnehin schon zu lange gutgegangen. Jetzt war es vorbei.
    »Wer ist sie?«
    Jenny stellte die Frage, nicht Anne. Anne fand vor maßloser Verblüffung keine Worte.
    »Ich hab' dir doch gesagt, daß ich eifersüchtig bin, Liebling.«
    In diesem Moment erst hörte ich den spielerischen Unterton heraus – eben jene selbstzufriedene, vergnügte Laune, in die sie heute anscheinend verfallen war.

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