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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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daß ich hineinkommen würde, ob er aufmachte oder nicht. Es schien also nur natürlich, daß die Tür nicht aufsprang oder splitterte, wie unweigerlich im Film, als mein anderes Ich sie mit Fußtritten traktierte; es war also nicht verwunderlich, daß sie den Tritten dann mit einem lauten Krachen nachgab und der Fremdling das Gleichgewicht verlor, in das kleine Foyer stürzte und sich langsam – er schien es nicht eilig zu haben – wieder hochrappelte. Der Grundriß der Wohnung war identisch mit dem der darüberliegenden; die Möblierung, luxuriös in viktorianischem Stil, allerdings anders. Mit langen Schritten, aber noch immer gemächlich, stieg er die Treppe hinauf, überquerte die Galerie, betrat ein Schlafzimmer. Auch hier war niemand. Er stellte sich neben das Bett, warf die Kissen beiseite und ließ sich dann rücklings darauf fallen. Er streckte den rechten Arm hinter sich aus, bis er eine Reihe Bücher auf einem Regal berührte. Er richtete sich auf, wischte die Bücher auf den Boden und hielt plötzlich eine Schußwaffe in der Hand, einen Revolver. Er prüfte die Trommel und war offensichtlich mit dem Anblick zufrieden, der sich ihm bot. Er schob die Waffe in die rechte Jackentasche und wollte sich zurückziehen. Da sah er eine große, braune Katze mit angriffslustig funkelnden Augen sprungbereit wie ein Panther im Türrahmen kauern. Er schob das fauchende Tier mit dem Fuß beiseite und ging auf dem gleichen Weg zurück, die Treppe hinab, durch das Wohnzimmer, auf den Korridor hinaus.
    Er schritt am Aufzugsschacht vorbei zum Treppenhaus, stieg ein Stockwerk hinauf und betrat hier den gleichen Korridor. Ohne Hast erreichte er die mit ›707, A. Wyatt‹ bezeichnete Tür, schloß sie mit seinem Schlüssel auf und trat ein.
    Drinnen – Düsternis. Kerzen aller Größen und Sorten flackern auf dem Fußboden. Alle Vorhänge sind zugezogen. Gespenstisch, unwirklich. Schatten an der Decke, an den Wänden, auf den Stufen. Rauch gleich Nebelschwaden im ganzen Raum. Schemen hocken im Halbkreis auf dem Boden, unkenntliche Gesichter, bleich im Kerzenschimmer: Mädchen mit wallenden Haaren, Männer, einige mit Bärten. Wie Indianer um ein Lagerfeuer. Sie rauchen – was? Eine Zigarette wird herumgereicht, ein Zug hinter vorgehaltener Hand, dann weiter zum nächsten. Musik: Gitarren, sanft gezupft oder im Beat. Stimmen: »He, du, scher dich weg.« Köpfe nicken im Rhythmus mit dem einfachen, primitiven Gedröhn. Im Hintergrund wiegt sich ein Mädchen, graziös mit schimmerndem Haar und nackten Armen, ein im Dunkeln verschwimmender, verzerrter Umriß in feierlichem Solotanz.
    Der Mann betrachtet alles von der Diele aus. Seine rechte Hand steckt in der Tasche, aber er ist noch immer nicht in Eile – nur neugierig, als hätte er einen Entschluß gefaßt, der jedes Gefühl der Dringlichkeit aus seinem Körper gesogen hat. Wie hypnotisiert schaut er zu. Das Mädchen tanzt, in seine eigene Welt verloren. Die Zigarette wandert weiter. Jemand lacht auf. Eine männliche Stimme flüstert. Jemand kichert.
    Der Mann streckt seine Hand aus, schaltet das Licht ein. Die Schemen versinken. Ein Stöhnen aus dem Halbkreis, ein Mädchen klagt, dann eine ungehaltene männliche Stimme: »Mach das Licht aus!« Gescharre, Murmeln, das meiste unverständlich: »Aus, Mensch« … »Welcher Idiot« … »Mach das verdammte Licht aus!«
    Stille, einen Augenblick lang nicht einmal Musik. Dann das Klicken, mit dem eine neue Platte auf den Plattenteller fällt.
    Das in eine Ecke hingegossene Pärchen – ein muskulöser Jüngling mit einem elisabethanischen roten Spitzbart und ein Mädchen im Pullover, mit Haaren, so kurz, daß sie wie an den Schädel geklebt wirken – rührt sich nicht. Eine zierliche Orientalin in kurzem roten Kleid reicht die Zigarette an einen dürren Neger weiter und schließt die Augen, vom Licht geblendet. Die Farbige schirmt die Zigarette mit der Hand ab, zieht tief ein und bläst den Rauch seufzend aus.
    Ein Singen, mehr ein Kreischen von der Platte: »… get your kicks on Route Sixty-six, get your kicks on Route Sixty-six –« wieder und immer wieder.
    Der Mann in der Diele beobachtet die unwirkliche Szene noch immer, entweder benommen oder äußerst interessiert, die Hand in der Tasche. Die anderen ignorieren ihn oder haben seine Gegenwart noch gar nicht bemerkt. Ein schlaksiger Junge mit dem gegerbten Gesicht eines Farmers in einem zweireihigen, taillierten Stutzerjackett steht auf, geht mit festen

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