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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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Seinen Anteil von Wilbys dreitausend hatte er vermutlich bereits, und nun versuchte er, auch mich nach Kräften auszunehmen. »ich höre.«
    »Dreihundert im Monat?«
    Und dann überstürzt: »Oh, es kostet natürlich viel mehr, aber den Differenzbetrag werde ich schon irgendwie beschaffen.«
    Wo blieben Wut, Entrüstung, Abscheu?
    »Ich finde es sehr anständig von Ihnen, Geoffrey, daß Sie den Differenzbetrag beschaffen wollen.«
    »Und ich werde natürlich genau Buch führen, damit alles auf Heller und Pfennig zurückgezahlt wird, mit Zinsen.«
    »Aber erst wenn Sie einen größeren Schnitt machen«, wehrte ich ab. »Vorher würde ich natürlich keine Tilgung erwarten.«
    »Das ist … sehr rücksichtsvoll, Mr. Wyatt. Ich wußte, daß ich auf Ihr Verständnis zählen kann – ebenso wie Sie auf meine Diskretion.«
    »Diskretion«, entgegnete ich, »ist der bessere Teil der Habgier, Geoffrey« und schritt zum Aufzug.
    »Ja, Sir –« Aber es klang fast wie eine Frage.
    »Gute Nacht, Geoffrey.«
    »Gute Nacht, Sir. Kann ich Audrey sagen –«
    Ich drehte mich in der leeren Aufzugskabine nochmals um und sagte: »Geoffrey, sagen Sie Audrey, was Sie wollen, und was Sie für … diskret halten.«
    Ich drückte den Knopf zu meinem Stockwerk. Mochte er schwitzen, wie Wilby sagen würde. Die Tür schloß sich vor seinem etwas erstaunten Gesicht. Er hatte Lydia nicht ein einziges Mal erwähnt, sich nicht nach ihrer Rückkehr erkundigt. Das war elegant – wie es der Ruf eines geschulten Portiers verlangte. Sie verstehen schon.
    Die erste Regel eines erfolgreichen Anwalts muß immer sein: Unterschätze niemals die Habgier des Menschen. Professor Kantor. Wann hatte ich heute schon einmal an ihn gedacht? Warum hatte ich seine zynische Maxime abgelehnt, um sie nun, nach vielen Jahren, als richtig zu erkennen? Merkwürdig, daß ich dieses Wissen nicht quälend empfand; ich nahm es mit Ergebenheit hin.
    Dann fiel mir noch ein anderer Ausspruch Professor Kantors ein. Seltsam, daß ich mich nicht früher erinnert hatte: Falls jemand unter Ihnen, meine Herren, in die Legislative geht, dann hoffe ich, daß Sie ein Gesetz durchbringen werden, wonach jedem weiblichen Säugling das Geburtsdatum gleich nach der Geburt unterhalb des Nabels eintätowiert wird. Ich lehnte mich an die Wand und überließ mich meiner Müdigkeit. Nie mehr Wilbys spöttische Stimme hören müssen. Nie mehr Jennys aufreizenden, verführerischen Körper vor Augen geführt bekommen. Und doch stellte sich kein tiefgreifendes Gefühl der Freiheit oder Endgültigkeit ein.
    Der Alptraum war vorüber, aber nichts war mehr wie früher. Ich auch nicht.
    Der Aufzug hielt an, die Tür glitt auf, ich ging den Korridor entlang – und erst als ich mit dem Schlüssel in der Hand vor meiner Wohnungstür stehenblieb, vernahm ich Geräusche.
    Nicht Musik. Eine Stimme.
    Hinter der Tür.
    Dann Gelächter, ein ungewöhnliches, fast hysterisches Lachen im Falsett. Es kam mir nicht überraschend.
    Nun wußte ich, warum ich nach dem Telephongespräch mit Phoebe nicht sehr erleichtert war, warum ich nicht nach Hause, sondern in Pats Pub gegangen war. Irgendwie steckte mir die Angst in den Knochen. Wilby hatte abermals gelogen, hatte sogar Phoebe im Büro angerufen, damit die Lüge glaubhaft und meine Qual noch verlängert würde.
    Ich wußte plötzlich genau, was ich tun mußte.
    … eine unvorstellbar anwachsende Lawine von Verbrechen, so daß sogar ich eine Waffe, wenn auch nicht unter dem Kopfkissen, so doch in Reichweite habe –
    Ich bestieg wieder den Aufzug, drückte auf den Knopf des fünften Stocks, spürte, wie die Kabine sank. Es war jedoch nicht meine Sinneswahrnehmung – all dies geschah nicht mit mir, sondern mit einem anderen, einem Fremden.
    Dieser Eindruck hatte sich mir schon einige Male seit Sonntagabend aufgedrängt: daß ich neben mir stand, mich beobachtete, während ich gleichzeitig meine Rolle spielte und so den Handlungsablauf beherrschte. Nun aber hatte ich mich von meinem anderen Ich so weit getrennt, daß ich, als sich die Aufzugstür aufschob, nur noch ein Beobachter war: der Gang, die Wohnungstür, die Ziffer 607, das Namensschild ›D. Abbott‹.
    Gewiß, ich vernahm den Summton, als ich meinen Finger auf den Klingelknopf drückte, ohne loszulassen, bis der Finger blutleer weiß schimmerte. Gewiß, ich stellte mir Donald in seiner Wohnung vor – mit einer Frau oder einem Mann, das war schließlich völlig gleichgültig –, und ich wußte,

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