Sonntags bei Tiffany
dir von Ben erzählt habe.«
Ich rannte zum Telefon und hob ab. »Colleen! Ich bin da. Ich bin gerade zur Tür reingekommen. Wie gehtâs dir? Ich hatte dir eine Nachricht hinterlassen. Ich habe ja gesagt, dass ich darauf brenne, deinen Anwalt aus Chicago kennenzulernen.«
»Ich weiÃ, aber ich wollte deine Stimme hören«, erwiderte Colleen. »In echt. Ich wollte die echte Jane hören.«
»Hier ist sie.«
Also unterhielten wir uns. Als Colleen etwa eine Stunde später fertig war, hätte ich in der Chicago Tribune, in der New York Times und im Boston Globe die Hochzeitsberichte über die beiden schreiben können. Ben, der Sohn von Dr. Steven Collins und Gemahlin, hatte den ersten Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gemacht, war dann auf die Michigan Law School gewechselt, um einen weiteren Abschluss zu machen. Und er hatte zwei Jahre bei der Staatsanwaltschaft von Chicago gearbeitet. Colleen hatte er bei einer Party auf Marthaâs Vineyard kennengelernt, zu der ihn seine Schwägerin mitgenommen hatte. Von seiner Wohnung, in die Colleen gemeinsam mit ihrer Katze Sparkle derzeit einzog, hatte man einen Blick auf den Lake Michigan. Als sie begann, mir von der Füllung für ihre Hochzeitstorte zu erzählen, zog ich die Notbremse.
»Wow, das hört sich an, als hättest du schon alles geplant«, versuchte ich Begeisterung vorzutäuschen. Ich mochte Colleen, doch falls sie mir noch erzählen wollte, sie würde zwei kleine, als Brautpaar verkleidete Marzipanmäuse auf ihre Torte stellen lassen, bestand die Gefahr, dass ich das Telefon aus dem Fenster werfen würde.
»O Jane. Ich habe ja nur von mir erzählt. Du bist so eine groÃartige Zuhörerin.«
»Kein Problem â dafür bin ich ja da. Es freut mich, wenn du glücklich bist.« Und sollte ich ein bisschen eifersüchtig sein, wäre das mein Problem.
»Das nächste Mal rufst du mich an, dann darfst du mich genauso volltexten. Was gibtâs denn im Moment bei dir Neues?«
»Nicht sehr viel«, antwortete ich. »Du weiÃt ja â Arbeit und der ständige Kampf, um meine Mutter gefügig zu machen.«
Colleen kicherte. »Wie immer.«
Ach, fast hätte ich es vergessen â ich bin gerade dabei, mich in den perfektesten Mann zu verlieben, den es gibt â lieb, lustig und unglaublich gut aussehend. Aber er ist nur ein Produkt meiner Einbildung. Ansonsten ist alles noch beim Alten.
SECHSUNDVIERZIG
A m nächsten Morgen war Michael da.
Wie früher wartete er geduldig vor dem Haus. Heute allerdings in Fleisch und Blut, sozusagen. Keine Halluzination. Zumindest ging ich davon aus.
In seiner Hand hielt er eine wunderschöne weiÃe Gardenie.
»Hallo, Jane«, grüÃte er. Er sah leicht verknittert, aber bewundernswert gut aus. »Gut geschlafen?«
»O ja, als hätte man bei mir einen Schalter umgelegt«, log ich. »Und du?«
Wir gingen in perfekter Harmonie nebeneinander her genau wie damals auf dem Weg zur Schule. Tja, passte er wieder auf mich auf? Beschützte er mich wieder? Warum? Ob ihm das überhaupt klar war? Warum wusste er nicht auf alles eine Antwort? Er hatte immer alles gewusst, als ich klein gewesen war. Er war nie unsicher gewesen, hatte nie gezögert. Dass er wegen dieser Sache genauso verwirrt war wie ich, machte ihn aber auf eine Art sehr viel menschlicher.
Das Wetter war kalt für einen späten Frühlingsmorgen, und es sah nach Regen aus, doch nichts konnte mir an diesem Tag meine gute Laune verderben. Ich war voller Hoffnung. Zum ersten Mal nach so langer Zeit.
Wir unterhielten uns ununterbrochen über alles und nichts, über die Vergangenheit und die Gegenwart â aber nicht über die Zukunft. Vielleicht waren die Gespräche mit Michael das Beste an dieser Sache, oder an jeder Freundschaft oder Liebe. Trotzdem hätte ich ihn am liebsten gepackt, ihn geküsst und, wenn ich ehrlich bin, noch viel mehr mit ihm gemacht. Er war ein Kerl, wie ihn eine Achtjährige nicht zu schätzen weiÃ.
»Jane! Willst du da reingehen? In Erinnerung an alte Zeiten?«
Michael zeigte über die Madison Avenue hinweg auf einen kleinen, schrecklichen Laden, der »The Muffin Man« hieÃ. Vor mehr als zwanzig Jahren waren wir vormittags oft dorthin gegangen, und ich hatte, wie ich gestehen muss, die Tradition bewahrt.
»Einmal scharf auf Muffins, immer scharf auf
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