Sophia oder Krieg auf See
Seite des Käfigs, »wenn du so weiter schreist, fallen noch die Möwen vom Himmel«. Corin sah auf. Ein Schrank von einem Mann mit blondem, krausen Haar, Vollbart und blitzenden, blauen Augen hatte sich zusammen mit einem sonnengegerbten schlanken Kerl neben dem Käfig aufgebaut. »Ganz schön lautes Abendessen«, murmelte die Krähe schniefend, aber niemand wollte das hören. Der Schrank lächelte Corin an, der sich mit dem Ärmel seines löchrigen Hemdes das verrotzte Gesicht abwischte.
»Warum habt ihr mich nicht umgebracht«, wollte Corin von dem Schrank wissen und seine Stimme klang nun wieder bissig und laut, »so, wie all die anderen?«. Wieder packte Corin die Gitterstäbe und rüttelte daran wie ein Berserker, sehr zum Vergnügen des Schranks. »Temperament: Ja«, bestätigte der große Mann leise seinem Begleiter, ohne Corin aus seinem Blick zu entlassen, »aber ein guter Kämpfer?«. »Ich habe es selbst gesehen«, gab der Schwarzhaarige ebenso leise zurück und die Krähe drängelte sich mit einem schrillen »ich auch!« in die Unterhaltung, wurde aber wieder ignoriert.
»Mörder!«, begann Corin erneut zu schluchzen, »ihr seid Mörder! Mögen eure modrigen, verpopelten Seelen für immer in der Hölle brennen! Verflucht sollt ihr sein, stinkendes Seeräuberpack«.
Die linke Pranke des großen Mannes schoss hervor, durch die Gitterstäbe, packte Corin am Kragen und riss ihn dicht an die Gitterstäbe, so dass sein Gesicht fest zwischen zwei Gitterstäben gezwängt wurde. Das runde Antlitz des Schranks kam Corin sehr nah. »Gottes Freund und aller Welt Feind«, brummte er Corin mit einem verschmitzten Lächeln an, »das sind wir, mein Junge. Wir nehmen es den gierigen Kaufleuten, denn reichen Hansen, denn fetten Dänen und den aufgeblasenen Engländern«. Corin wagte keinen Widerspruch. »Und wir teilen gleichsam zwischen uns und den Armen«, beendete der Hüne seine kleine Ansprache. Corin fühlte sich wie ein auf den Grillrost gepresstes Hühnchen, welches man leider vor der Zubereitung vergessen hatte zu rupfen und welchem man aus Schusseligkeit immer noch nicht die Kehle durchschnitten hatte.
Teufel auch, dachte Corin, das ist ein echter Pirat. Ein wirklicher, echter Pirat.
»Wir sind im Namen des Herren unterwegs«, unterbrach die Krähe Corins verquere Gedanken. Der Dürre hielt sich aber schnell den Mund zu, als der Schrank ihn mit einem mahnenden Blick zum Schweigen brachte.
Der große Pirat lockerte seinen Griff an Corins Kragen, als er durch eines der Löcher in der Kleidung seines Gefangenen etwas entdeckte. Mit seiner rechten Pranke griff er durch die Gitterstäbe und umklammerte Corins linken Arm. Durch den Riss in der Kleidung über einer langen Schnittwunde war deutlich der aufgemalte Piratenkopf zu sehen, den Corin vor wenigen Tagen im Spiel auf seinen Arm gepinselt hatte. Der Schrank stutzte, drehte den Arm etwas unsanft in Richtung zu seinem schlanken Begleiter und beide fingen dröhnend an zu lachen.
Zorn pochte wieder unter Corins Schädeldecke, aber im Griff dieser Schraubzwingen vermochte er sich keinen Deut zu rühren.
Der Hüne beruhigte sich langsam und kicherte nur noch. »Broklas!«, donnerte er schließlich über das Deck und entließ Corin aus seinem Zangengriff, »wo treibst du dich wieder rum, alter schottischer Zauberer?«. Und schon stampfte er mit seinem Begleiter im Schlepptau über das Deck gen Schiffsbug.
Corin sah dem Schrank noch eine Weile hinterher. »War das der Schiffsherr?«, fragte Corin leise die Krähe, die immer noch in seiner Nähe am Käfig stand. »Das war Claas, unser Kapitän«, gab die Krähe hilfsbereit Auskunft, »und Ole, der Bootsmann. Einen Schiffsherrn 48 haben wir nicht. Es ist unser Schiff. Der Rote Rabe«. Corin musterte den Alten. Da hätte er fast Lachen können, dass eine alte Krähe auf einem Roten Raben fuhr. Aber der Witz kam nicht viel höher als sein Bauchnabel. Ein paar Klauen extrem schlechter Laune packten den arglosen Witz und drehten ihm den Hals um.
»Ich bin übrigens Thore«, fügte die Krähe glucksend hinzu. Corin ignorierte Thores Vorstellung und merkte auf, als er am Ende des Decks einen älteren Mann aus den Kammern des hinteren Kastells herauskommen sah. Der Mann war auch von weitem nicht zu übersehen, hatte er doch einen großen, grauweißen Bart und trug ein langes, leuchtend rotes Gewand. Corin kam sofort ein mystischer Zauberer in den Sinn und wartete gespannt, ob aus dem Heckkastell nun Einhörner, Zwerge
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