Sophia oder Krieg auf See
hin, sie könne ihren zwei Wachen, die in Hab-Acht-Stellung zwei Schritte hinter ihr an der Zeltwand ausharrten, befehlen, das dicke Schweinchen Reddich mit ihren Hellebarden 58 nach draußen zu rollen.
Aber das ging natürlich nicht. Schon hatte sich Reddich vor Sophia aufgebaut und verbeugte sich so ungeschickt, lang anhaltend und tief, dass sie sich fragte, ob sich Reddich jemals wieder aufrichten würde. Und könnte. Und wollte. Oder ob er eher anfangen würde im Boden nach Trüffeln zu suchen.
Soviel war klar, Reddich war ungefähr so betrunken, wie eine Nonne bei ihrem Ordensgelübde es nicht war. Nämlich total. Das war nicht weiter verwunderlich, denn die Mengen an Wein und Starkbier, die man zu diesem Fest aufgefahren hatte, waren beachtlich.
Düster erinnerte sich Sophia an einen jungen Mann irgendwo draußen, der dabei gewesen war seinen Mageninhalt nach Farbe zu sortieren. Meine Güte, dieses Fest war einfach…
»Meine allerdurchgelauchtigste aller meine Herzogin«, gab Reddich irgendwie von sich, als er wieder relativ aufrecht stand, und dabei mahlte er mit seinem Unterkiefer, als würde er tagsüber auf einer Weide stehen und wiederkäuen. »Ich muss Ihnen sagen«, schrie Reddich, »dieses Fest ist das beste, das unser schööönes Mecklenburg je gesehen hat«, lobte er seine Sippe und sich selbst schamlos.
»Werter Reddich«, erwiderte Sophia professionell, »wir danken für Euer Kompliment, das prächtige Fest und wünschen noch einen schönen Abend«. Die Herzogin nickte freundlich. Nicht einmal ihr Beichtvater hätte ahnen können, dass sie keinen Moment zögern würde Reddich in die nächste Jauchegrube zu schubsen, so echt wirkte ihr Lächeln. So echt, dass Reddich gar nicht auf die Idee kam, abzuziehen. »Ja«, trompetete er näselnd, »ein wunderschöner Abend. Ein ganz wuuundervoller Abend ist das. Ja.«, bestätigte er nickend, und wartete auf Sophias noch intelligentere Antwort.
»Ihr könnt jetzt gehen«, sang Sophia und setzte ein noch aparteres Lächeln auf, das sie eigentlich nur für die Hinrichtung von Attentätern reserviert hatte. Reddich verbeugte sich nochmals, nahm dann irgendeinen Weinkelch, der auf dem Tisch stand, und prostete in die Runde. »Auf unsere große Herssogin Sophia!«, rief er in die Runde und neben den Hofdamen gab es noch einige andere Anwesende, die den Toast belustigt erwiderten. Dann torkelte Reddich endlich aus dem Zelt.
Sophia holte tief Luft, sehr tief Luft, und schloss die Augen. Es tat ihr leid, was sie über den dicken Reddich gedacht hatte. Eigentlich war er ein netter, fetter Mann und sie war diejenige, die schlechte Laune hatte. Und sich langweilte.
»Kinder«, rief die junge Herzogin leise und verschaffte sich sofort Gehör bei ihren Hofdamen, indem sie mit der Hand auf den Tisch klatschte. »Wer kommt mit ans Wasser?«, übte sich Sophia in rhetorischen 59 Fragen. Die vier Mädchen waren sofort Feuer und Flamme.
*
Der Mond zauberte einen unheimlichen, blauen Schimmer auf das ruhige Meer, das sich in kleinen Wellen am Sandstrand brach.
Die Wogen waren so unscheinbar, dass sie kaum ein Geräusch erzeugten, zumindest kaum ein hörbares, denn die Luft war so vom Schreien, Jauchzen, Quieken und Johlen der vier Hofdamen erfüllt, dass die beiden Leibgardisten Sophias regelmäßig das Gesicht verzogen, in der irrigen Hoffnung, das würde den quälenden Schalldruck auf die gepeinigten Trommelfelle etwas mindern.
Auch Sophia selbst ließ sich von diesem wirklich einfachen Vergnügen anstecken, hatte ihre Stimmbänder aber unter Kontrolle. Da kam wieder eine kleine Woge den feinen Sandstrand hinauf gekrochen und fünf junge Damen tippelten barfuß die Wellenfront entlang. Wurden die Füße vom Wasser getroffen, durfte man zur Belohnung wie am Spieß schreien und das ließen sich zumindest die Hofmädchen nicht zweimal sagen.
Sophia kicherte. Ja, das hier konnte man wahrlich einen saublöden Spaß nennen, aber warum denn auch nicht. Sie wagte zwar nicht, sich auszumalen, zu welchen Druckwellen ihre Mädchen in der Lage gewesen wären, wenn plötzlich ein wirklich großer Brecher kommen würde. Sie schnaubte dann aber vor Lachen, als sie sich eine klitschnasse Hofdame Catharine vorstellte, die mit Seetang und sehr genervt dreinschauenden Krebsen behangen, den Mond in zwei Hälften schrie.
Und schon hatte Catharine, zugleich Sophias älteste Freundin am Hof, das Wasser bis zu den Waden stehen und brüllte sich freudig die Seele aus dem Leib.
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