Sophia oder Krieg auf See
gegnerische Waffe möglichst weit auf Distanz zu bekommen. Der Maskierte wich zur Seite und fiel auf die Knie. Jonathan war entschlossen, das Handgelenk des Angreifers nicht freizugeben. »Zurück!«, zischte er Sophia an, besorgt die herumwirbelnde Klinge des Attentäters könnte vielleicht die Herzogin treffen. Sophia gehorchte und machte zwei Schritte von den Kontrahenten weg, den Stein immer noch in ihrer Hand.
Jonathan sah seine Chance gekommen den Spieß umzudrehen, versuchte selbst auf die Knie zu kommen und den Angreifer auf den Rücken zu zwingen. Aber der Maskierte war nicht dumm. Er wich noch weiter zurück und kam schließlich in einer gewaltigen Kraftanstrengung wieder auf die Beine, nur gebremst von Jonathan, der immer noch wie eine Klette an seinem Handgelenk mit dem sich darauf anschließenden Schwert hing.
Verzweifelt versuchte Jonathan ebenfalls auf die Füße zukommen, was ihm auch fast gelang, als der Angreifer anfing loszulaufen und den jungen Giles vor sich herschubste. Jonathan klammerte sich an den Mann und taumelte rückwärts, einen Schritt, zwei Schritte, drei Schritte. »Die Mauer«, schoss es Jonathan durch den Kopf und schon spürte er die steinerne Balustrade hart in seinem Rücken. Es krachte. Die Steine gaben nach. Jonathan spürte noch mehr Adrenalin durch seine Adern rauschen. Er sah Brüstung und Mauerteile aus den Augenwinkeln. Sein Körper wurde schwerelos.
Sophia schrie.
Jonathan sah den Himmel und fiel.
Der Attentäter fiel mit ihm.
Der Geruch von Blut stieg in Jonathans Nase. Er sah rote und schwarze Wolken am Firmament. Staub und kleine Steinchen wirbelten durch die Luft. Für einen winzigen Augenblick glaubte er ein Déjà-vu zu erleben. Doch dann erinnerte er sich an den Sturz von der Maria Van Brügge.
Er war gestürzt. Seine Familie war gestorben. Er hatte überlebt.
Nun würde Jonathan sterben. Zu seiner Überraschung versetzte ihn der Gedanke weder in Panik noch machte er ihn besonders traurig. Der Attentäter würde mit ihm getötet werden, Sophia würde…
Er war noch keine Mannslänge gefallen, da prasselte es auf Jonathans Körper ein, wie tausend Peitschenhiebe. Er sah Grün, viel Grün. Ein Baum! Jonathan ließ zum ersten Mal seit Beginn des Kampfes das Handgelenk des Angreifers los, ließ alles los, riss die Arme hoch und versuchte zu packen, was er packen konnte. Zweige fetzten durch seine krampfhaft klammernden Hände, aber er konnte sich keinen Halt verschaffen. Er spürte einen harten Schlag gegen seinen Kopf und das Bild wirbelnder Blätter vor seinen Augen fing an zu verschwimmen. Er fuchtelte mit den Armen und bekam den Schuldigen zu fassen, einen Ast, den er fest entschlossen war zu packen um ihm gehörig die Meinung zu geigen.
Jonathan blieb hängen.
Das Bild vor seinen Augen wurde wieder klar und ruhig. Er war wohl eine Mannshöhe gefallen, dann drei Mannshöhen durch den Baum gerauscht und hing jetzt noch drei, vier Mannshöhen über dem Boden.
Der Boden! Der Attentäter lag bereits dort und was die Schwerkraft ihm angetan hatte, mochte man als gerecht bezeichnen. Ein schöner Anblick war es dennoch nicht. Der Maskierte hatte sich das Genick gebrochen und zudem noch sein eigenes Schwert in die Brust gerammt.
Jonathan ließ los und fiel. Er kam hart, aber mit den Beinen zuerst auf dem Boden auf.
Schnaufend taumelte er rücklings auf den Boden. In seinem Unterleib klaffte eine Schnittwunde. Seine Hände waren zerschunden und aufgerissen. Sein Kopf dröhnte. Seine Arme und Beine schmerzten.
»Jonathan!«, rief Sophia und mit wenigen Sätzen kam sie vom Eingang des Turmes zu ihm herübergelaufen. Die Herzogin warf sich auf die Knie neben Jonathan und legte ihre Hand auf seine Stirn. Ihr Blick, ihr ganzer Gesichtsausdruck war der einer Fassungslosen. »Alles gut«, keuchte Jonathan und lächelte, »alles gut«. Sophia schloss die Augen und atmete tief durch. Schließlich öffnete sie die Augen wieder und konnte sich ebenfalls zu einem zaghaften Lächeln durchringen.
»Wer ist das?«, schnaufte Jonathan und machte eine Kopfbewegung in Richtung des toten Attentäters. Sophia drehte sich um. Der Fremde hatte nicht nur sein Leben, sondern auch seine Maske verloren. Die Herzogin beugte sich vor und blickte direkt in seine toten, braunen Augen. »Ich weiß nicht«.
»Passiert dir das öfter?«, wollte Jonathan wissen. Sophia drehte sich wieder zurück, aber statt Jonathan anzuschauen, wanderte ihr Blick in die Ferne. »Wir sind nicht sonderlich
Weitere Kostenlose Bücher