Sophia oder Krieg auf See
und Nybur sah aus der Ferne eine dunkelrote Fontäne emporsteigen. Dann fiel das Fischerboot mit seinem Fang noch weiter zurück.
»Pah!«, fluchte Zitrone laut und Nybur kam es vor, als ob der Beamte dem sterbenden Wal dort hinten noch einen verbalen Fußtritt verpassen wollte, »Handelsprivilegien!«.
Ein weiteres Schiff passierte den Kurier und einige Besatzungsmitglieder grüßten mit knapper Handbewegung. Zitrone beruhigte sich endlich und musterte seinen Vorgesetzten, der nach wie vor apathisch auf die See hinaus starrte. Der Beamte hob die Hand und machte zögerlich Anstalten Nybur den Arm zu tätscheln, traute sich aber nicht so recht.
»Bester Nybur, Herr«, sagte Zitrone aufmunternd, »eigentlich gibt es doch keinen Grund für Trübsal!«. Seine Fingerspitzen tänzelten kurz auf Nyburs Ärmel, aber der Ratsherr reagierte nicht. »Immerhin«, gluckste Zitrone etwas hilflos, »die Mission ist doch ein Erfolg. Ein, äh, großer Erfolg. Euer Erfolg. Ein großer Tag!«.
Nybur drehte den Kopf und sah den Beamten an. Zitrone glaubte so etwas wie den Hauch eines Lächelns in Nyburs traurigen Zügen entdecken zu können. Aber er irrte sich.
Ein Bolzen pfiff herüber und hämmerte sich in Nyburs Brust. Das Eisengeschoss traf das Herz und zerfetzte es auf der Stelle. Die Augen des Ratsherrn weiteten sich, sein Blutdruck fiel abrupt und es blieb kaum Zeit für einen letzten Gedanken, der ziellos durch Nyburs Geist blitzte und im nächsten Augenblick versickern würde.
»Ich hatte Recht«, flüsterte eine Stimme. Seine Stimme?
»Ich hatte Recht. Ich werde nie wieder Lachen«.
Als Nybur nach hinten fiel und hart auf das Deck schlug, war seine Seele bereits erloschen.
Zitrone war so starr, dass er nicht mehr atmen konnte. Ein gewaltiger Stoß ging durch das Schiff, Holzsplitter flogen, und der Beamte fiel wie eine Statue zu Boden. Überall war Gebrüll und Gejaule, Krachen und Klirren. Zitrone sah in den Himmel hinauf, aber statt einer goldenen Pforte sah er nur verwischende Gestalten und bizarre Figuren, die sich aus kleinsten Teilen Wasser, Holz und Segeltuch zusammen setzten und gleich darauf wieder auflösten.
Sein Atemreflex formulierte eine Kampfansage und seine Panik unterlag nach Punkten. Keuchend sog er Luft in seine Lungen und die Schockstarre löste sich. Zitrone drehte sich auf den Bauch, winkelte die Beine an und kam auf die Knie. Überall liefen Menschen.
»Runter auf den Boden, wenn du nicht kämpfen willst«, brüllte der jugendliche Angreifer. Der Junge mit dem kindlichen Gesicht und dem Bürstenhaarschnitt schwang ein Kurzschwert und Zitrone hatte nicht die geringste Lust, in Scheiben geschnitten zu werden. Wimmernd fiel er wieder zu Boden und vergrub den Kopf unter seinen Händen.
»Corin!«, brüllte Claas von achtern 109 , wo er mit Thore, Ole und vier anderen Piraten eine eigene Front eröffnet hatte. Corin sah sich um. Kapitän Claas war im Gefecht mit einem Gegner, gab aber nun einen Teil seiner Konzentration zugunsten von Corin auf. »Die Wachen«, grölte Claas und machte eine Kopfbewegung in Richtung Corin.
Corin sah es. Mehr und mehr Wachen strömten aus einem kleinen Kastell im vorderen Bereich des Schiffes. Corin schlug einen Haken und hetzte nach vorne auf die Steuerbordseite des Kurierschiffes. Die Wachen bemerkten ihn, doch nur zwei stellten sich zum Kampf, der Rest verteilte sich auf dem Schlachtfeld an Deck. Die zwei Männer waren nicht untalentiert, aber keine Herausforderung für Corin, insbesondere, wenn er sich so positionierte, dass ein synchroner Angriff unmöglich wurde.
Der junge Giles zog sich weiter an die Holzwand des Kastells zurück und verschaffte sich auf der anderen Seite Deckung durch ein großes Fass. Abwechselnd führten die Wachen ihre Angriffe durch, aber Corin war schnell genug und parierte jede Attacke. Gerade als einer der Soldaten den entscheidenden Fehler machte und zu lange mit seinem Angriff zögerte, hörte Corin ein lautes Fauchen und hätte schwören können, dass sein rechtes Ohr heiß aufglühte.
Ein Bolzen war haarscharf vorbeigeschossen und hatte den zweiten Soldaten tödlich getroffen. Corin setzte nach, blockte den verspäteten Angriff des ersten Gegners und stieß seine Cinquedea durch die dicke Lederweste in dessen Brust.
Erst jetzt begannen Corins Knie weich zu werden. Er drehte sich um und entdeckte Frederick im Krähennest des Roten Raben. Das Narbengesicht starrte immer noch in seine Richtung und Corin war sich sicher, dass der
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