Sophie Scholl
niedrigen Stube, voller Menschen, Zigaretten- und Pfeifenqualm, macht ein Ziehharmonika-Spieler Musik: »Fritz und ich tanzen einmal vorbei, ganz langsam, während alles ringsum auf uns starrt.« Ob beim Baden oder beim Tanzen: Sophie Scholl versteckt ihren Körper nicht; es macht ihr Freude, sich zu bewegen. Mögen die Spießer denken, was sie wollen. Wieder zu Hause, blickt Sophie Scholl am 18. April in einem Brief wehmütig zurück: »Lieber Fritz, es gefällt mir in Ulm noch gar nicht. Ich merke jetzt erst, wie schön wir es in Schindelberg hatten.« Fritz Hartnagel ist nach dem Kurzurlaub von Augsburg nach München zu einer Ausbildungskompanie versetzt worden. Er antwortet, er habe leider den Zug nach Ulm nicht mehr erwischt, und bestätigt Sophie Scholls Empfindungen über die Tage in Schindelberg: »Dass sie mir gut getan haben, hat sogar der Arzt festgestellt, und der kann doch nur das körperliche Befinden beurteilen. Ich wollte, wir könnten öfters einige Tage zusammen weg sein.« Und hofft fest, am kommenden Sonntag und Montag bei ihr sein zu können.
Am 20. April 1939 gab es kein Dorf und keine Stadt, wo nicht mit Aufmärschen und Paraden, Reden und Flaggen, Glockengeläut und Gebeten Hitlers fünfzigster Geburtstag gefeiert wurde. In Berlin begann um 11 Uhr eine Parade aller Waffengattungen und nationalsozialistischen Organisationen, die Adolf Hitler fast fünf Stunden lang mit ausgestrecktem rechten Arm wie ein Feldherr an sich vorbeiziehen ließ. Das Dritte Reich und sein Führer demonstrierten eine martialische Bereitschaft zum Krieg. »Der Führer wird vom Volk gefeiert, wie nie sonst ein sterblicher Mensch gefeiert worden ist«, triumphierte Joseph Goebbels. Der Größenwahn des Propagandaministers war damals schon lächerlich. Doch Verehrung und Kult von Millionen Deutschen um den »Führer« hatten durchaus religiöse Züge. Kein Regierungschef in Europa konnte es mit Adolf Hitlers Popularität und Ansehen im eigenen Volk aufnehmen. Im Frühjahr 1939 besaß Adolf Hitler die unumschränkte, durch keine Gesetze gebundene, absolute Macht in Deutschland. Er allein entschied über Krieg und Frieden. Nur fünf Wochen zuvor hatte er demonstriert, wohin unter seinem Befehl Deutschlands Weg führen würde.
Bei den Diplomaten, die auf der Tribüne in Berlin dem Truppenaufmarsch ihre Reverenz erwiesen, fehlten die Botschafter von Großbritannien, Frankreich und der USA. Sie waren von ihren Regierungen direkt nach dem 15. März abberufen worden. An diesem Tag war die Morgendämmerung noch nicht gewichen, da überschritt die Reichswehr, wohlvorbereitet für diesen Überfall, die Grenze zur Tschechoslowakei. Gegen 9 Uhr am 15. März 1939 dröhnten die Marschschritte deutscher Soldaten durch Prag, am Straßenrand die weinende, verzweifelte Bevölkerung, die keinen Widerstand wagte. Zu erdrückend war die gewaltbereite Übermacht der Besatzer. Am gleichen Abend noch unterschrieb Adolf Hitler auf der Prager Burg das Dokument über die Einsetzung des »Protektorats Böhmen und Mähren«. Die Tschechoslowakei hatte als Staat zu existieren aufgehört und war durch brutale Machtausübung und gegen alles Völkerrecht zu einer Kolonie Großdeutschlands degradiert worden.
Und wieder schien es, als könne Hitler sich alles erlauben, ohne dass Europas Demokratien einschritten, um seiner Gewalt-Politik Einhalt zu gebieten. Aus Hitlers öffentlichen und geheimen Reden war unschwer zu erkennen, dass Polen das nächste Opfer seiner Eroberungspolitik sein würde. Immerhin gab Großbritannien Ende März eine Garantie-Erklärung für Polen ab und kündigte einen Beistandspakt zwischen beiden Ländern an. Damit war eine rote Linie gezogen. Doch der deutsche Regierungschef setzte weiterhin darauf, dass den Ankündigungen der Westmächte keine Taten folgen würden. Am 3. April wies er die Reichswehr an, einen Krieg gegen Polen vorzubereiten, der mit der vollständigen Vernichtung des Landes enden sollte. Die Militärs nahmen den Befehl mit Begeisterung auf.
Fünf Tage nach der Besetzung der ČSR macht Sophie Scholl Zukunftspläne. Sie berichtet Fritz Hartnagel am 20. März, dass ihre Schwester Liesl an die Ausbildung zur Kindergärtnerin noch eine Ausbildung als Kinderkrankenschwester anhängen werde: »Und ich? Werde nächstes Jahr Kindergärtnerin. Dann habe ich einen Beruf, und kann anfangen, was ich will. Ich bin direkt glücklich über diese Lösung, durch die ich nur ½ Jahr an Zeit verliere.« Fritz Hartnagel ist von
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