Sophie Scholl
die Malerei waren eng mit ihrem Sinn für Schönheit verbunden. Als Robert Scholl im Frühjahr 1939 eine neue Wohnung mietet, in einem repräsentativen Jugendstil-Karree direkt neben dem Ulmer Münster, war das nach ihrem Geschmack. »Überhaupt auf die neue Wohnung freut sich alles ganz doll«, erfährt Liesl Scholl Ende Mai von ihrer Schwester Sophie. »Wir werden dann gewissermaßen erhabener über die ganze Menschheit sein. Manche dürfen dann uns besuchen.« Die Scholl-Wohnung lag im 4. Stock, von den westlichen Fenstern sah man direkt auf den Münsterplatz.
Noch im Mai haben Inge und Sophie Scholl sich für ihr neues gemeinsames Zimmer in der Ulmer Niederlassung der Internationalen Möbelfirma Behr einen Stuhl ausgesucht. Behr, gegründet 1912, war führend für moderne Möbel und formschönes Design. Sophie Scholl kann den Stolz auf das neue Möbelstück nicht verbergen: »Er kostet 75 RM, ein Entwurf von Nothelfer. Nun wird’s fabelhaft in unserer neuen Wohnung. … Das ist gar nicht so schlecht, man gewöhnt sich so schnell an die behagliche Wohlhabenheit.« Die Einkünfte vom Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Robert Scholl werden 1939 gegenüber 1938 um über 1000 Reichsmark auf insgesamt 13 577 Reichsmark steigen. Sophie Scholl hat die genauen Zahlen sicher nicht gekannt. Aber ihr war klar, dass mit diesem Umzug ihre Familie endgültig zum gut situierten Ulmer Bürgertum gehörte. »Gestern sind wir umgezogen«, schreibt Inge Scholl am 29. Juni 1939 an ihren Bruder Hans in München. »Wir haben schon ziemlich aufgeräumt in unserer schönen Wohnung und freuen uns, wenn Du Sonntag kommst …«
Als der Umzug anstand, wusste Sophie Scholl schon, dass ein großes, schönes Abenteuer auf sie wartete – die Sommerferien fern der Heimat. Die Eltern hatten zugestimmt, dass sie nach Jugoslawien fuhr – zusammen mit Fritz Hartnagel. »Ich kann es noch gar nicht recht glauben, dass es nun wahr werden soll«, schreibt er am 27. Juni. »Zuerst wagte ich den Gedanken gar nicht auszusprechen, Dich zu dieser Fahrt einzuladen. Ich bewundere Deine Eltern.« Es war eine außerordentliche Ausnahme, dass Eltern ihre achtzehnjährige Tochter mit einem zweiundzwanzigjährigen Freund ohne weitere Aufpasserin in die Ferien fahren ließen, noch dazu in eine ferne, wilde Gegend. »Es ist beinahe unfassbar, dass wir beinahe 19 Tage, Stunde für Stunde zusammen verbringen können. Ich freue mich so sehr, dass wir mal längere Zeit zusammen sein können …« Liesl Scholl erfuhr von Sophie: »Stell Dir vor, die ganze Küste mit dem Schiff (ich werde seekrank) die albanische und griechische Grenze entlang. Der Heimweg ist noch unbestimmt, wie es uns am besten gefällt.«
Wir können es kurz machen, im Gegensatz zu den quälend langen Wochen, die Sophie Scholl und Fritz Hartnagel erlebten, gefüllt mit Frust, Anträgen und vielen Gängen zu Ämtern, zur Polizei, zum Untergau der NSDAP, ins Reisebüro. Sophie Scholl brauchte schnell einen Pass, ohne den gab es keine Devisen. Die Reichsführung der Hitlerjugend, ohne die es keinen Pass gab, weigerte sich, das Verfahren zu beschleunigen. Es war dann auch hinfällig, denn am 5. Juli wurde die Devisenausgabe für Jugoslawien gesperrt. Während Fritz Hartnagel dennoch verzweifelt nach einer Chance für seinen Urlaubstraum suchte, blieb Sophie Scholl nüchtern. »Ich tat, was ich konnte«, schreibt sie ihm am 16. Juli. Aber auch: »Ich freu mich, bis wir mal unterwegs sind, denn vorher glaub ich nicht dran, dass es etwas wird.« Sie sollte recht behalten. Am 20. hat sie einen Brief von Fritz Hartnagel in der Post: »Wenn mir die Tränen leichter fließen würden, hätte ich heute sicher geheult, als ich aus dem Reisebüro kam. … Nun hat sich also Dein Pessimismus doch bewahrheitet.«
Sophie Scholl schreibt am gleichen Tag zurück, sachlich, fast emotionslos. Für sie ist keine Welt zusammengebrochen: »Ich bin ja nicht sehr verwundert.« Sie hätte ohnehin keinen Pass bekommen, »da allgemeines Ausreiseverbot ist, d. h. der Jugend wird in dieser kritischen Zeit keine Ausreiseerlaubnis mehr gegeben. Naja, nun wollen wir Jugoslawien endgültig zu Grabe tragen«. Ohne Umschweife stimmt sie der Anfrage von Fritz Hartnagel zu, ob er mit ihr in den Ferien nach Worpswede fahren könne. Er solle gleich am Samstag kommen, »denn in die Schule mag ich nun nicht mehr (obwohl ich noch keine Erlaubnis wegzubleiben habe, es merkt ja niemand.)« Wahrscheinlich am 24. Juli 1939 saßen Sophie und
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