Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
Vom Netzwerk:
diesem »neuen Plan völlig überrascht«. Was ihm Sophie Scholl bei seinem nächsten Besuch in Ulm erklärt hat, wissen wir von Susanne Hirzel. Sie erinnert sich Jahre später, ihre Freundin Sophie habe ihr eines Tages völlig unerwartet an einer Ulmer Straßenecke erklärt, sie wolle nach dem Abitur nicht zum Reichsarbeitsdienst gehen und sich nicht »nochmal ein halbes Jahr oder länger mit Flaggenhissungen und Gemeinschaftsunterkünften herumärgern, und Du gewiss auch nicht«. Ihre List, diese Pflicht zu umgehen: »Wir müssen einfach etwas Soziales machen oder zumindest so tun, als ob wir das in Zukunft tun würden.« Als »Soziales« bot sich die Ausbildung zur Kindergärtnerin im evangelischen Fröbel-Seminar in Ulm-Söflingen an, die gerade Liesl Scholl durchlief. Dort wurde, bei allen Kompromissen, auf seriöses Lernen abseits der nationalsozialistischen Ideologie Wert gelegt, und Sophie Scholl hatte gern mit kleinen Kindern zu tun.
    Sophie Scholls Glücksgefühl, auf dem »Kindergärtnerinnen-Umweg« den nationalsozialistischen Zwängen ein Schnippchen zu schlagen und eine offene Zukunft mit freier Berufswahl vor sich zu haben, ist einer von mehreren Mosaiksteinen, die sich im ersten Halbjahr 1939 zusammenfügen. Sie bilden eine – wenn auch noch unscharfe – Frontlinie, die Distanz und Ernüchterung gegenüber dem Nationalsozialismus und seiner alle Lebensbereiche einengenden Macht markiert und machen sie fassbar. Auch eine Bemerkung im Mai gehört dazu, als Sophie ihrer Freundin Erika Reiff schreibt, sie habe neuerdings besonderes Interesse an der Mathematik – »ich kann machen, was ich will«. Diese Parole passt schlecht zum Monopol der Volksgemeinschaft.
    Es sind subtile Signale, die teilweise auch die Scholl-Geschwister untereinander senden. Wer so fest als Familie zusammengewachsen ist, kann sich mühelos und ohne weitere Erklärung mit Codes verständlich machen. Im Mai 1939 gratuliert Liesl Scholl ihrer Schwester Sophie. »Liebe Soffer! Auch Du sollst nicht vergessen werden an Deinem Geburtstage. Hoffentlich gehen Deine Wünsche in Erfüllung. … Ist Dir unsere Erholungsreise auch schon in so weite Ferne gerückt?« Am Ende gibt es einen »Extragruß, ever yours sister«. Im Februar hatte Inge Scholl ihrem Bruder Hans geschrieben: »Wir 3 sisters lesen zusammen den ›Zerbrochnen Krug‹ von Kleist.« Das sind keine Einzelfälle. Immer wieder mischen alle Geschwister englische und französische Bruchstücke in ihre Korrespondenz. Sie tun es spielerisch, ohne eitle Attitüde, vielleicht ein winziger Ausbruch aus vorgegebener Eingrenzung und Deutschtümelei.
    Unabhängig vom Schulunterricht waren Werner und Sophie, Liesl, Hans und Inge Scholl an fremden Sprachen als den Trägern fremder Kultur interessiert. Sie haben ihre Englisch- und Französischkenntnisse verbessert, sich gegenseitig angespornt, Literatur im Original zu lesen, sich Zitate in der Originalsprache geschrieben und nach der genauen Bedeutung gefragt. Als Hans Scholl im April 1939 an der Münchner Universität sein Medizinstudium beginnt, schreibt er den Eltern: »Griechisch macht mir Spaß; ich bin in vielen Vorlesungen der einzige Mediziner unter lauter Philosophen.« Später wird er Russisch lernen, und Fritz Hartnagel wird Sophie Scholl fragen: »Woher kannst du eigentlich so gut Russisch?« Von Hans Scholls guten Französischkenntnissen werden wir noch hören.
    Ihre mittelmäßigen Zeugnisse waren kein Ausweis für Leistungsverweigerung; Sophie Scholls Lehrerinnen wussten das nur zu gut. Auch nicht ihre kritischen Bemerkungen über die Schule, die im Laufe des Jahres 1939 wieder auftauchen und eindeutiger werden. Im Mai schildert Sophie Scholl ihrer Schwester Liesl, wie sie jeden Morgen beim Aufstehen auf gutes Wetter hofft, um dann »enttäuscht und im Laufschritt zur Schule« zu laufen: »O wie bin ich froh, wenn ich fertig bin mit ihr. Es kommt mir vor, als müsste ich dort durch ein kleines viereckiges Fenster mit braunen Scheiben sehen.« Sophie Scholls Hoffnung auf andere, bessere Zeiten ist unüberhörbar im Frühling 1939, als die Wolken am politischen Himmel zunehmend dunkler werden. Dahinter steht eine bewusste Kraftanstrengung und der feste Wille, sich selbst in die Pflicht zu nehmen. Wie entschlossen sie ist, an sich selbst zu arbeiten, zeigt ihr Brief vom Mai an Erika Reiff, in dem sie sich für die Geburtstagsglückwünsche bedankt. Am 9. Mai 1939 war Sophie Scholl achtzehn Jahre alt geworden: »Diese Wünsche,

Weitere Kostenlose Bücher