Sophie Scholl
auch von anderen, sind mir so wichtig geworden, es ist mir, als hätten sie irgendeine Magie. Und Dein Wunsch ist auch ein verpflichtender, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass ein zuchtloser Mensch oder ein unreiner, eine starke Freude erleben könnte.« Es sind hohe Ansprüche, die Sophie Scholl an sich stellt.
Immer haben Gedichte sie begleitet. Für die Zeit um 1939 erinnert sich ihre Freundin Susanne Hirzel an ein »uns damals wichtiges Gedicht Rilkes«. Es trägt den Titel »Archaischer Torso Apollos« und endet mit der berühmten Zeile »Du musst dein Leben ändern«. Dieser Weckruf fügt sich in die Einblicke, die Sophie Scholls Briefe uns gewähren – unabhängig von dem Vielen und Wichtigen, das für uns ungesagt und im Dunkeln bleibt: die Gespräche vor allem – mit den Geschwistern und den Eltern, mit Fritz Hartnagel und den wenigen engen Freundinnen; der Gedankenaustausch mit den Malern Wilhelm Geyer und Albert Kley und deren Familien, zu denen sich eine feste Freundschaft entwickelt hat; die Gespräche abseits der Schule mit der Biologielehrerin Frau Dr. Frieß, wenn Sophie Scholl ihr am Nachmittag einen Blumenstrauß bringt. Eines lässt sich von allen diesen Menschen sagen: Sie werden Sophie Scholl ermutigt haben, ihren eigenen Weg zu gehen.
Die Ernsthaftigkeit, mit der Sophie Scholl auf ihr Leben blickt, schließt auch ihre Liebe zu Fritz Hartnagel mit ein. Ihr Geburtstag ist für beide ein erneuter Anlass, auszusprechen, was sie einander bedeuten und wie viel Gutes in dieser Verbindung liegt. Der zweiundzwanzigjährige Fritz Hartnagel, auf dienstlicher Erkundungsfahrt im Zillertal, macht am 8. Mai den Anfang: »Aber da Du morgen Geburtstag hast, sollst du noch wissen, dass ich auch morgen bei Dir sein werde mit meinen Gedanken wie alle Tage.« Ob er etwas Schönes erlebt oder wenn ihn etwas bedrückt, immer erzählt er es ihr: »Liebe Sofie, Du hast mich dadurch vor so vielem bewahrt, und dafür möchte ich Dir danken. Ich wünschte, dass ich Dir noch mehr schenken könnte außer diesem Dank. Schlaf gut in Dein 18. Lebensjahr hinein!«
Dankbarkeit ist das Stichwort, das Sophie Scholl am 10. Mai in ihrem Antwortbrief aufgreift: »Ich bin Dir so unendlich dankbar. Denn ich fühle, dass ich die egoistischere bin von uns beiden, aber ich nehme von Dir so gerne und dankbar. Denn bei wieviel Menschen kann man das, ohne die Furcht, damit Verpflichtungen auf sich zu laden. – Hoffentlich bereust Du das niemals.« Eines ihrer schönsten Geburtstagsgeschenke sei sein Paket mit einer kleinen Plastik gewesen. Sie musste den Tag wegen »Rachenkatharr« im Bett verbringen – immer noch kränkelte sie schnell –, mit dem Vorteil, sich den ganzen Tag an ihrem Gabentisch zu erfreuen.
Himmelfahrt wanderten die Scholl-Geschwister mit den Kindern der befreundeten Arztfamilie Nägele über die Schwäbische Alb. Auf dieser Wanderung am 18. Mai 1939 schlägt Hanspeter Nägele Sophie Scholl vor, seine Übersetzung des »Peter Pan« aus dem Englischen mit Zeichnungen zu illustrieren. »Hoffentlich gelingt’s mir«, schreibt sie drei Tage später an ihre Schwester Liesl. (Das Buch mit Sophie Scholls Zeichnungen ist 1989 erschienen.) Pfingsten geht es wieder auf die Alb. Diesmal sind Sophie, Inge und Werner Scholl mit Fritz Hartnagel drei Tage unterwegs. Mal stapfen sie bei strömendem Regen über lehmige Feldwege, mal spielen sie Märchen auf blühenden Wiesen.
Bei aller Lust am Wandern – die achtzehnjährige Sophie Scholl ist eine moderne junge Frau, die einen festen Freund hat, raucht und es sehr schätzt, dass Fritz Hartnagel das elegante Auto seines Vaters jederzeit zur Verfügung steht. Stolz berichtet sie ihrer Schwester Liesl am 19. Juni 1939: »Hab ich Dir schon geschrieben, dass wir letzten Sonntag (vor 9 Tagen) am Bodensee waren. Ich hab vollends das Autofahren gelernt, ich bin ganz allein vom Bodensee nach Ulm gefahren, auch durch die Städte. – Am Bodensee haben die Buben gebadet, während ich das Los der Mädchen verflucht habe, denn es hatte ganz herrliche Wellen.« Die »Buben«, das waren außer Fritz Hartnagel noch Hans und Werner Scholl.
Das Geheimnis des steinernen »Torso Apollos«, wie Rilke ihn beschreibt, liegt in der Schönheit, die er ausstrahlt, obwohl sein Körper verstümmelt und ohne Kopf ist. Sophie Scholl war empfänglich für schöne Dinge, liebte den festlich gedeckten Tisch bei familiären Feiern, sammelte Kunstpostkarten, und ihre Liebe und ihr Talent für die Musik und
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