Sophie Scholl
blitzartig: Griechenland wurde besiegt, ein unabhängiges Kroatien unter faschistischer Führung etabliert, Serbien kam unter deutsche Verwaltung.
Um die Situation, über die man im Lager in Krauchenwies jubelt, politisch richtig einschätzen zu können, fragt Sophie Scholl bei den Eltern an: »Hoffentlich erhalte ich von Vater oder sonst jemand von Euch einen Brief, wie hoch man das Stimmungsbarometer wegen der Kapitulation Griechenlands stellen darf. Hier ist’s enorm hoch.« Das Bild vom Barometerstand war nach der Familien-Vereinbarung die unverfängliche Einschätzung, ob die nationalsozialistische Herrschaft sich weiter auf dem Vormarsch befand oder ihrem Ende entgegenging.
Am 13. April 1941, Ostersonntag, hatte Robert Scholl seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. »Im engen Familienkreis in schöner Harmonie«, wie er einen Tag später an Sophie Scholl schreibt. Mit dem Dank für ihren Geburtstagsbrief verbindet er einen Rückblick auf sein Leben. Die Verwertung »so vielen Suchens, Irrens und Reifwerdens« könne erst in künftigen Jahren möglich sein. Auch werde er immer »der gleiche Sucher« sein, »Stillstand wäre Rückschritt«. Dann kommt er auf Sophies »Barometer-Anfrage« zu sprechen. Entgegen seiner Einschätzung am Jahresanfang sei er nun der Meinung, »dass der Krieg doch etwas länger dauert«. Seine Grundüberzeugung ändert sich nicht: »Das Barometer ist vorübergehend für die Oberflächlichen etwas gestiegen und es kann in nächster Zeit vielleicht noch etwas steigen. Aber der Umschwung kommt mit unausbleiblicher Konsequenz. An der Entwicklung in Richtung eines gewissen Zieles wird sich durch Zwischenepisoden überhaupt nichts ändern, so wenig sich in einem Flusslauf durch Seiten und Rückwasserstau bei einem Hochwasser etwas ändert.« Geduld haben, nicht aufgeben, sich nicht blenden lassen – gerade mal zwei Monate später war Robert Scholls Rat von überraschender Aktualität.
Am 22. Juni 1941 setzte sich eine Kriegsmaschinerie in Bewegung, wie sie Europa noch nie erlebt hatte. Drei Millionen deutscher Soldaten – drei Heeresgruppen mit 153 Divisionen –, 600 000 Kraftfahrzeuge, 500 000 Pferde und 3350 Panzerwagen überfielen die Sowjetunion, die mit Hitler-Deutschland verbündet und auf diesen Angriff, trotz vielfacher Warnungen und einer Armee von fünf Millionen Rotarmisten, nicht vorbereitet war. Wieder das gleiche Bild: Die deutschen Soldaten marschieren von Sieg zu Sieg – Minsk, Smolensk, Kiew werden eingenommen. Hitlers Ziel, die Sowjetunion in vier Monaten zu vernichten, scheint außer Frage. Am 8. September war Leningrad eingeschlossen. In Gesprächen malt der Führer aus, wie Moskau und Leningrad dem Erdboden gleichgemacht würden. Am 19. September 1941 meldete das »Ulmer Tagblatt«: »In breiter Front siegreich nach Osten.«
Wie in keinem der Kriege an der westlichen Front ging es diesmal um totale Vernichtung des Gegners und um einen Raubkrieg, der rund 21,2 Millionen Menschen in der Sowjetunion die Lebensgrundlage entziehen würde. In Vorbereitung des Feldzuges hatte sich in Berlin eine Gruppe von Staatssekretären zusammengesetzt und in einer Aktennotiz vom 2. Mai 1941 nüchtern kalkuliert: »Der Krieg ist nur weiterzuführen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.« Im nationalsozialistischen Edeljournal »Das Reich« schrieb Propagandaminister Joseph Goebbels, der Krieg im Osten werde »für einen vollgedeckten Frühstücks-, Mittags- und Abendtisch« im Westen sorgen. Es sei zudem ein Krieg um Rohstoffe, und die seien die Voraussetzungen zur Lösung der sozialen Frage bis hin zum Bau von Volkswagen und Traktoren, Theatern und Kinos bis ins letzte Dorf hinein.
Als Hitler am Morgen des 22. Juni 1941 im Radio verkündete, dies sei der größte Aufmarsch, den die Welt je gesehen hätte, saß Sophie Scholl mit Inge Scholl und Otl Aicher in einer Pension in Krauchenwies beim Frühstück. Die beiden waren am Samstag gekommen, um Sophies freies Wochenende mit ihr zu verbringen. Nach der Rückkehr schrieb Inge Scholl am 26. Juni an die Schwester: »Nun kommt es mir schon wieder sehr lange her, dass wir mit Dir in dem schönen Park spazierengegangen sind. Sind wohl inzwischen die Erdbeeren reif geworden? Vergiss sie nicht! – und dann möchte ich Dir gern noch etwas sagen: Es ist so schön, dass Du so
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