Sophie Scholl
grandiose Verheißung: »Was an dir schon verfiel, wird wieder aufblühen, von all deiner Schwermut wirst du geheilt werden, was dir zu entgleiten drohte, wird wieder in eine feste Form gebracht und unlöslich an dich gebunden werden.« Der Gott des Augustinus bot die unerschütterliche ewige Sicherheit, nach der Sophie Scholl auf der Suche war. Ein Brief von Sophie Scholl aus Krauchenwies an Lisa Remppis: »Habe ich Dir schon geschrieben, dass ich allabendlich Augustinus lese? Da steht geschrieben: Du hast uns geschaffen hin zu Dir, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir.«
Am 9. Mai 1941 wurde Sophie Scholl im Lager zwanzig Jahre alt. Die erste freudige Überraschung an diesem Morgen ist der Anruf der Mutter. »Er sollte eigentlich meinen verspäteten Geburtstagsbrief etwas abschwächen«, wird Lina Scholl ihrer jüngsten Tochter am Abend schriftlich bekennen. »Es war aber auch ein Trost, wieder mal Deine Stimme zu hören.« In dem Brief vom Tag zuvor an das »liebe Geburtstagskind« steht: »Gott beschütze und segne Dich in Deinem neuen Lebensjahr und schenke Dir alles Gute, das auch für Dein leibliches und seelisches Wohl gut ist. Er schenke Dir die ganze Fülle des Schönen, des Glücks, der Hoffnung, dessen Du mit Deinen nun 20 Jahren aufzunehmen bereit und fähig bist. Und besonders beschütze er Deine Gesundheit nach seiner Güte und Liebe, damit Du da und dort Deine Pflicht treu erfüllen kannst.« Am Nachmittag des 9. feiert die klein gewordene Familie in Ulm mit einem Rhabarberkuchen und trinkt in ihrer Abwesenheit auf Sophies Wohl. Zum Schluss des Briefes hatte die Mutter eine vorsichtige Anfrage: »Ich freue mich auch, Dich einmal wiederzusehen, ob ihr wohl am Muttertag freibekommt? Nun, wenn nicht, dann ist ja Pfingsten nicht mehr weit.« Drei Wochen wären das noch hin. Doch es kommt anders.
Zwei Tage später, am 11. Mai 1941, notiert Inge Scholl in ihr Tagebuch: »Sofie ist gestern mittag ganz überraschend gekommen. … Sie ist so munter, so guter Dinge, dabei so klar und frisch in ihren Gedanken und Gesprächen und keine Sprosse ist ihr zu hoch. Ich habe das sichere Gefühl … dass sie das rechte Verhältnis zum Arbeitsdienst hat und dass sie so am sichersten durchkommen und sich ganz und gar bewahren wird.« Eigentlich gab es einen »Reise-Sonntag« erst nach zwei Monaten Lagerleben. Vorher war jedes Wiedersehen mit den Eltern verboten. Es bleibt, die bisherigen Lebensbeschreibungen auch in diesem Detail zu korrigieren: nicht erst am ersten Juni-Sonntag, sondern schon am 10. Mai 1941 durfte Sophie Scholl das Lager Krauchenwies für eine Fahrt nach Ulm verlassen. Was diese »gänzlich unerwartete« Heimfahrt für sie bedeutet, hat sie Lisa Remppis am 15. Mai berichtet: »Jetzt kommt mir das allerdings schon traumhaft vor, aber sicher ist es wirklicher und wichtiger gewesen als der ganze Arbeitsdienst bis jetzt. Muss abbrechen, es ist Appell.« Nach dem Appell fügt Sophie Scholl noch hinzu: »Zu Deinem Büchlein habe ich die Zeit noch nicht gefunden. Ich bin froh, wenn ich zu meinen vorgenommenen Augustinusabschnitten komme.«
In der zweiten Maihälfte begann der Außendienst. Endlich konnte Sophie Scholl der Freundin etwas Positives berichten. Sie arbeite bei einem Bauern – »und der ganze Arbeitsdienst hat nun ein anderes Gesicht«. Mit dem Fahrrad fährt sie rund acht Kilometer durch einen lichten Wald bis Sigmaringendorf – »so richtig glücklich«. Nach mündlicher Überlieferung tut sie dort beim Ortsbauernführer Dienst. Vielleicht heißt es deshalb in ihrem Brief an Inge Scholl vom 3. Juni: »Von meinem Bauern lieber mündlich.« Den Haushalt zählt sie noch auf – »2 Pferde, Fohlen, 11 Kühe, Jungvieh – außer mir noch ein Knecht, eine halbblöde 15jährige Tochter, ebensolcher 17jähriger Sohn, Zottelhund, viele Hühner«.
Als erstes muss sie Unkraut auf dem Feld jäten, es ist heiß. Doch das kümmert Sophie Scholl nicht; sie sieht die Landschaft, den Himmel und das aufziehende Gewitter, »ein wunderbarer Anblick hinter den Tannenwipfeln.« Nach drei Wochen Landarbeit schreibt sie ihrer Schwester Liesl, sie habe »schon so braune und dicke Arme wie eine Magd«, sei abends so müde wie nie, »aber es ist ein ganz schönes Gefühl«. Sophie Scholl fühlt sich wohl bei der Arbeit im Stall und »in dem ganzen Dreck des Hofes« und isst mit allen aus einer Schüssel. »Das wohlige Müdesein am Abend« sei eine Versuchung, erfährt Lisa Remppis. Doch sich im Lager
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