Sophie Scholl
wörtlich, was Inge Scholl zu einem möglichen Übertritt schreibt: »Nichts wüsste ich mehr, das mich abhalten sollte. … Ich bin diesem Schritt so nahe.« Es fehle ihr nur noch »ein besonderer Befehl Gottes«. Wird Inge Scholl anderen, die ihr nahe stehen, Hans oder Sophie, davon erzählen, welche Richtung ihr Glaube genommen hat? Diese Frage beantwortet ein Eintrag in ihrem Tagebuch vom 29. Juni 1942. Da überlegt Inge Scholl, was die Auswirkungen ihrer Konversion zum Katholizismus auf die Geschwister und die Mutter wären. Und beschließt, ihre Absicht noch geheim zu halten. Otl Aicher wird der einzige Geheimnisträger bleiben.
Es ist erstaunlich, was sie alle aus ihrer Zeit herausholen. Inge arbeitet im Steuerbüro ihres Vaters, und da sind vor allem im Frühjahr Überstunden die Regel. Hans ist ein fortgeschrittener Medizinstudent, und die Semester werden, bei gleichem Unterrichtsstoff, wegen des Krieges immer kürzer. Sophie muss nach der Arbeit mit den Kindern noch den Hort putzen, bevor am Abend die RAD-Führerin ihr die wenige Freizeit mit Aufgaben vollpackt. Aber es gilt: Trotz alledem! Zumal Otl Aicher von der Kaserne in Ludwigsburg aus Druck macht, die Produktion des »Windlicht« nicht zu vernachlässigen. In den Briefen von Inge an Sophie Scholl ist neben allem Austausch in geistig-religiösen Dingen und den Berichten über gelesene Bücher meist auch von praktischer Arbeit für das »Windlicht« die Rede. Sophie Scholl soll Texte in schöner Schrift schreiben, Illustrationen machen, Aufsätze der anderen kritisch lesen. Hans Scholl gelingt es, Carl Muth zu gewinnen, der Aufsätze und Übersetzungen beisteuern wird.
Immer enger wird der Kontakt zwischen Carl Muth und den Scholls. Am 14. Februar 1942, einem Samstag, war Inge Scholl in München angekommen, und Hans Scholl begleitete sie nach Solln. Bis Montag wurde sie bei Carl Muth gastlich aufgenommen. Lange Gespräche führen die beiden. Muth nimmt sich viel Zeit, zeigt Inge Scholl seinen Hausaltar; Bücher überall. Inge Scholl ist überwältigt. Am Montagmorgen, dem 16. Februar, fährt sie zurück, im Koffer etliche Exemplare vom »Windlicht«. Auf dem Weg vom Ulmer Bahnhof in die Wohnung am Münsterplatz begegnet Inge Scholl ihrem Vater; doch er ist nicht allein. Sie hat es später beschrieben: »Ich treffe Vater zufällig in der Platzgasse, … hinter ihm ein Gestapobeamter. Vaters Gesicht ist fahl. Seine Augen grüßen mich.« Robert Scholl ist unter Bewachung auf dem Weg zu einer Vernehmung im Untersuchungsgefängnis.
Als Inge Scholl in der Wohnung ankommt, sind die Gestapo-Leute noch nicht abgezogen. Samt Köfferchen muss auch sie zu einer Befragung mitkommen. In den Gestapo-Unterlagen ist festgehalten, es sei »bezeichnend für die ganze Einstellung der Familie Scholl, dass seine Tochter erzählte, sie und ihre Geschwister hätten bei einer Fahrt ins Gebirge ihre 2 – 3 Skier dort gelassen, und nur die Bindungen mitgenommen, da sie die Forderung, die Skier an die Wehrmacht abzuliefern, gemein finden würden und den Verdacht hätten, dass daraus Brennholz gemacht würde«. Die »Windlicht«-Exemplare werden einbehalten, weitere Untersuchungen nicht angeordnet.
Vier Tage später, am Freitag, schreibt Lina Scholl an ihre Tochter Sophie. Sie ringt um einen Einstieg: »Nun ist beinahe wieder die Woche geschlossen, und wenn wir wüssten, dass Du morgen kommst, hätte ich Dir heute nicht geschrieben. Es fällt mir schwer, Dir heute etwas mitteilen zu müssen, was für uns alle schmerzlich ist. Seit Montag schon stehen wir Drei unter Druck. Da kam die Gestapo, verhaftete erstens Vater und 2. durchsuchten sie Inges Bücher … bei Inge hatten sie es auf ein Windlicht abgesehen.« Sophie erfährt dann von ihrer Mutter, wie es zu dieser Aktion kam. Ihr Vater war von seiner engsten Mitarbeiterin denunziert worden. Ihr Gewissen habe sie getrieben, Informationen aus Robert Scholls Gesprächen mit ihr weiterzugeben – »In zwei Jahren ist in Deutschland ein Chaos und die Bolschewisten haben Berlin besetzt … Hitler ist die größte Gottesgeißel …«. Zudem habe er sich negativ über den Russland-Feldzug geäußert. Die Mitarbeiterin gab das Gespräch an den Untergau weiter, der informierte die Kreisleitung der NSDAP und diese wiederum die Gestapo. Robert Scholl wurde noch am gleichen Tag nach seiner Vernehmung aus der Haft entlassen und konnte vorläufig weiterarbeiten. »Liesl wollten wir noch nicht schreiben, weil sie vor ihrer Prüfung steht
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