Sophie Scholl
uns, Deine Sophie. Erwarte Dich am Bahnhof – sei vorsichtig!« Als Zwischenstation vor der Abfahrt an die russische Front war Otl Aicher ins Elsass verlegt worden. Ursprünglich war ausgemacht, dass Erika Reiff, die inzwischen in Freiburg studierte, zusammen mit Sophie Otl Aicher im elsässischen Münster besuchen würde. Dann erfuhr Sophie Scholl von Aicher, dass Erika Reiff schon wieder in Ulm sei: »Wenn du kannst, kommst du allein nach Münster. Meiner Ansicht nach musst du über Freiburg – Breisach – Kolmar ins Münstertal fahren.« Überzeugt, dass Sophie kommen würde, gab er weitere Anweisungen: »Falls Du schon früher in Münster bist, kannst Du vielleicht nach ein paar Zimmern sehen … Wenn Du glaubst, dass es in Sulgau, das 6 km oberhalb Münster liegt, besser zu wohnen ist, kannst Du auch dort Zimmer suchen. … Wenn mir nun etwas zustoßen sollte, komme ich eben später zum Bahnhof und warte dort. Aber bei der riesigen Freude, die ich ob dieses Sonntages jetzt schon habe, glaube ich kaum, dass mich etwas aufhalten kann, zu kommen.« Otl Aicher kam mit dem Fahrrad. Die Strecke quer durch die Vogesen von Epinal über den Col de la Schlucht betrug rund siebzig Kilometer.
In seiner Autobiografie »innenseiten des krieges«, nennt Otl Aicher ein Kapitel »sophie in Münster«: »sophie hatte ein gesicht, wie ich gesichter mag. sie hatte eine frisur, wie mir frisuren gefallen, sie hatte einen körper, wie ich körper mag. den kopf neigte sie ein wenig schräg nach hinten, blinzelte gegen die sinkende sonne, und hatte einen gang mit leicht vorgeschobener hüfte, die füße etwas auseinandergestellt (wie ich). die dunklen haare von ihrem bubikopf fielen auf die geneigte seite.« Siebzehn Seiten hat Otl Aicher aus der Rückschau viele Jahre später über die Zeit mit Sophie Scholl am 14. und 15. März 1942 geschrieben: »es blieben uns der samstagabend, die nacht und der nächste morgen. dann mussten wir wieder zurück. … so blieben wir die ganze zeit in einem kleinen gasthof in der eckbank am fenster und hatten kaum zeit, einmal über die wiese zu gehen. ein gast kam selten, und die wirtin mochte denken, wir seien auf hochzeitsreise, so gut kochte sie für uns.« Siebzehn Seiten im nachträglichen Gespräch mit einem Menschen, den er liebte und in dessen Schicksal, wie Otl Aicher im Herbst 1943 schreiben wird, er tief verflochten war.
Das Kapitel ist eine Hommage an Sophie, eine Erinnerung an viele Gespräche in den dreieinhalb Jahren, die er sie kannte. Ein Denkmal, das ganz und gar nicht museal ist, sondern die Würdigung einer außerordentlichen jungen Frau. Es ist ein Querschnitt durch Philosophie und Christentum. Die Fragen Sophie Scholls nach dem ungerechten großen Gott beantwortet Otl Aicher mit dem Hinweis auf den »kleinen Gott«, der sich um Einsame und Leidende kümmert. Es geht um die Unmöglichkeit eines christlichen Staates, die falsche Frömmigkeit der Kirchen und um Otl Aichers Lieblingsphilosophen, den Franzosen Jacques Maritain. Irgendwann spät an diesem Abend wollten die Wirtsleute das Lokal schließen.
Otl Aicher im Rückblick: »wir nahmen unser gepäck, waren auch nicht betrübt, dass man uns keine einzelzimmer offerieren konnte …« Die beiden setzen sich aufs Doppelbett und diskutieren über Gedichte von Willi Habermann, die im »Windlicht« abgedruckt werden sollen. Um drei Uhr morgens wurde die Müdigkeit übermächtig, und sie »kuschelten« sich ins große Bett: »fetzen der gespräche und die wärme eines nahen körpers strömten durch die träume bis in einen lichthellen morgen. berührungen brauchten nicht stattzufinden. sexualität kann menschen auf einer ebene binden, die ihre volle freiheit beeinträchtigt. der respekt vor der freizügigkeit und unbelasteten selbstverfügung eines jeden über sich selbst ließ uns so verfahren. mit unserm spitzen verstand, mit der freude, in den kalten wassern der logik zu baden, misstrauten wir der list der natur.« Als eine List der Natur hat Otl Aicher an anderer Stelle die Sexualität der jungen Jahre bezeichnet. Am nächsten Morgen bleibt nicht mehr viel Zeit. Otl Aicher begleitet Sophie Scholl zum Bahnhof. Der Zug lässt auf sich warten: »da ich die pausen nicht mag, die beim abschied auf bahnsteigen entstehen, verabschiedete ich mich und schwang mich auf mein rad.«
Zurück in der Kaserne, schreibt Otl Aicher am 17. März an Sophie Scholl: »Liebe Sofie, die Heimfahrt war noch prima und hat die beiden Tage noch
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